BLICKPunkt über die Bundesratswahlen und den Kandidaten Ignazio Cassis
Aus Liebe zum Tessin

Das Tessin stellt nur einen einzigen Bundesratskandidaten zur Auswahl: Ignazio Cassis! Als Liberaler aber müsste gerade er für Konkurrenz einstehen.
Publiziert: 15.07.2017 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 04:18 Uhr
«Es braucht dringend frisches Blut»
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BLICKPunkt über den Bundesratskandidaten Ignazio Cassis:«Es braucht dringend frisches Blut»
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Christian Dorer

Er und nur er: Am Dienstag kürte die Leitung der Tessiner FDP Ignazio Cassis (56) zu ihrem Bundesratskandidaten. Zweifel am Einerticket konterte der kantonale Parteipräsident mit der beleidigten Frage: «Wollen wir einen Kandidaten auswählen und ihn nach Bern senden, oder wollen wir die Wahl den anderen überlassen?» Nein, die Tessiner FDP hält nichts von freien Wahlen. Sie will bestimmen. 

Aber vielleicht bringen die Delegierten ihre Parteileitung am 1. August ja noch zur Vernunft. Sie haben es in der Hand, der Schweiz zwei oder drei Tessiner vorzuschlagen, damit die Wahl eines Nachfolgers für Didier Burkhalter auch wirklich eine Wahl wird. Geeignete Anwärter gäbe es genug, zum Beispiel den aufstrebenden Regierungsrat Christian Vitta (44).

Cassis und Vitta – das wäre eine echte Auswahl: ein Älterer und ein Jüngerer, einer mit Bundesbern- und einer mit Regierungserfahrung, einer ohne und einer mit drei kleinen Kindern, einer aus dem Sotto- und einer aus dem Sopraceneri, ein Arzt und ein Vertreter der Wirtschaft, ein Major und ein Soldat.

Foto: © Ti-Press / Ti-Press

In der 169-jährigen Geschichte der Eidgenossenschaft stellte das Tessin bisher sieben Bundesräte. Sie regierten insgesamt 81 Amtsjahre, der letzte bis 1999. Die Chancen für den Südkanton, im Bundesratszimmer einen Platz zu bekommen, stehen gut wie lange nicht: Der Deutschschweiz gehörten dann weiterhin vier und der Westschweiz noch immer zwei Sitze.

Vermasseln kann es nur noch das Tessin selber.

Klar: Cassis kennt den Politikbetrieb und ist in Bundesbern vernetzt; er führt seine FDP-Fraktion mit grosser Umsicht; seine Chancen sind gut, sehr gut sogar. Doch in neun Wochen kann viel passieren.

Der Bundesrat könnte nämlich nicht nur dringend einen Vertreter des Südkantons gebrauchen, er braucht auch dringend mehr Frauen! Nationalrätin Isabelle Moret (46) und Regierungsrätin Jacqueline de Quattro (57) aus dem Waadtland stünden bereit. Ausserdem die heimliche Favoritin vieler, Ständerätin Karin Keller-Sutter (53). Warum nicht die Ostschweizerin wählen und das Tessin nochmals vertrösten?

Ausserdem braucht der Bundesrat dringend junges Blut! In Frankreich gibt Präsident Emmanuel Macron (39) der Grande Nation gerade ihren Stolz zurück. Beliebtester Politiker in Österreich ist Sebastian Kurz (30) – der Aussenminister will Kanzler werden. Hierzulande steht der Genfer FDP-Regierungsrat Pierre Maudet (39) für höhere Ämter bereit; er könnte zum Macron der Schweiz werden!

Bundesratswahlen entfalten ihre eigene Dynamik. Entscheidend sind manchmal wenige Minuten bei der Präsentation der Kandidaten vor den Fraktionen. Man kann dort überzeugen, aber auch untergehen. Am Ende schreiben 246 National- und Ständeräte einen Namen auf ihre Zettel – oft ist das Bauchgefühl dabei der wichtigste Berater. Angesichts all dieser Unwägbarkeiten allein auf einen Kandidaten zu setzen, wie es die Tessiner FDP-Granden für richtig halten, ist ein Wagnis.

Wenn es das Tessin wirklich ernst meint mit seinen Bundesratsambitionen, sollte es mindestens zwei Kandidaten anbieten. Wer sich wie Cassis als Liberaler betrachtet, der begrüsst Konkurrenz. Und wer wie er aus Liebe zum Tessin Bundesrat werden will, der sollte aus Liebe zum Tessin weitere Kandidaten zulassen.

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