Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Wie Vorfahren Nachkommen bestimmen

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, heisst es gemeinhin. Deshalb rät die Britin Philippa Perry zur Stammbaumbetrachtung – bis hin zu den Wurzeln. Denn ist dort etwas faul, dann wird der Apfel einen Wurm haben.
Publiziert: 18.04.2020 um 12:04 Uhr
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Aktualisiert: 19.04.2020 um 18:19 Uhr
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Mein erstes Swimmingpool-Erlebnis machte ich als Kleinkind bei meiner Tante in Biel BE. Vom Beckenrand aus wasserte ich ein kleines Segelboot, schupste es auf die andere Seite zu meinen Cousins – und fiel als Nichtschwimmer ins Nass. Einer meiner älteren Brüder holte mich sofort raus, doch das Trauma blieb: Vor dem Schwimmunterricht später in der Schule hatte ich höllisch Angst – und das nicht nur, weil der Bademeister gestrenge war.

«Die erste Erfahrung von irgendetwas macht den tiefsten Eindruck», schreibt die britische Psychotherapeutin Philippa Perry (62) in ihrem eben auf Deutsch erschienenen Erziehungsbuch. Wobei sie gleich im Vorwort einschränkt, dass es ein solches im engeren Sinne nicht sei. Statt mit Kniffen und Tricks wartet sie mit anschaulichen Fallbeispielen und kleinen Übungen auf und setzt dabei weit vor der Geburt an: beim elterlichen Erbe.

Perry präsentiert zum Beispiel John (42), dessen Partnerin sagt, er lasse sich nichts erklären und antworte immer nur mit: «Ich weiss.» Danach besucht er seinen Vater, der die Pillen nicht in der richtigen Reihenfolge nimmt, worauf ihm John einen Plan aufzeichnet. Darauf der Vater: «Glaubst du wirklich, ich habe sechsundachtzig Jahre auf dieser Erde gelebt, ohne zu wissen, wie man die Etiketten auf diesen Pillenschachteln liest?» Da erkennt John: Er selber hört seinem eigenen Kind auch nicht wirklich zu, weil er nicht glaubt, dass es etwas sagt, was er nicht weiss.

Gewiss: Muster zu erkennen, ist schwierig. Perry zeigt deutlich auf: Die Dinge, die einem als Kind widerfahren sind, gibt man seinem eigenen Nachwuchs unbewusst mit. Dabei geht es weit weniger um Aussagen, die man macht, als vielmehr um Verhaltensmuster, die man vorlebt. Denn, so Perry weiter: «Kinder tun nicht, was wir sagen; sie tun, was wir tun.»

Trotz all dieser Vorbestimmungen muss man allerdings nicht geradeaus weiterfahren und kann stattdessen eine Weiche stellen, um eine Richtungsänderung einzuleiten. So geht es Perry darum, etwaige Blockaden aus der eigenen Kindheit zu beseitigen. Und sie schreibt: «Denken Sie daran: Alle Eltern machen Fehler; und das Bemühen, sie zu korrigieren, zählt mehr als die Fehler selbst.»

Nein, Philippa Perry – verheiratet mit einem Künstler, mit dem sie eine mittlerweile erwachsene Tochter hat – legt hiermit kein Erziehungsbuch vor, es ist ein Erkenntnisbuch, um nicht zu sagen Selbsterkenntnisbuch. Immer wieder entdeckt man beim Lesen Spuren des eigenen Lebens. Denn: «Egal, welches Alter dein Kind hat, es wird dich auf körperlicher Ebene an die Emotionen erinnern, die du durchgemacht hast, als du in einer ähnlichen Situation warst.»

Philippa Perry, «Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen (und deine Kinder werden froh sein, wenn du es gelesen hast)», Ullstein

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