Rund 53 Prozent der achteinhalb Millionen Schweizer sind bereits doppelt geimpft. Zieht man die 1,7 Millionen Kinder und Jugendliche ab, bleiben aber immer noch rund zwei Millionen Schweizer ohne Impfung. Viele von ihnen haben Angst vor dem Wirkstoff, ihnen fehlt das Vertrauen ins Gesundheitssystem – und die Pharmaindustrie. Dabei ist doch die Impfung die Lösung für das Ende der Pandemie!
Was machen also die Politik und die Gesellschaft mit den Impfzauderern? Sie versuchen es mit den besten Argumenten. Viele lassen sich tatsächlich überzeugen, andere aber fühlen sich unter Druck gesetzt und wechseln in den Verteidigungsmodus. Sie verschliessen sich und ihre Abneigung gegen die Impfung verstärkt sich.
54 Prozent der Erwachsenen demokratischer Länder haben das Gefühl, «nie» oder «selten» gehört zu werden. Zu diesem Befund kommt der Democracy Perception Index aus dem Jahr 2018. Im SonntagsBlick Magazin erklärt die Wissenschaftsjournalistin Kate Murphy, warum wir in unserer Gesellschaft das Zuhören verlernt haben. Sie sagt unter anderem: «Wir glauben, dass wir Gespräche führen und dominieren müssen. Dass im Leben nur erfolgreich ist, wer gut erzählen, Menschen überzeugen und seinen Standpunkt durchsetzen kann.»
Tatsache ist: Möchte ich jemanden von meiner Meinung überzeugen, muss ich erstmal verstehen, wie diese Person denkt, fühlt, tickt. Dafür muss ich in erster Linie zuhören. Auch den Impfzauderern.
Vielleicht hilft es, wenn wir uns daran erinnern, dass wir eigentlich alle nur Angst haben. Die Geimpften fürchten sich vor einer Erkrankung mit dem Coronavirus – oder davor jemanden anzustecken. Und die Zauderer haben eben Angst vor der Wirkung des Piks.
In einer perfekten Welt hätten wir alle tagtäglich 24 Stunden Zeit, um einander zuzuhören. Vielleicht aber schaffen wir es auch hier und heute, den Mitmenschen öfter ein offenes Ohr zu leihen?
Und dann gibt es ja noch immer die Profis. Das sind die Hausärzte, die schon zahlreiche Impfskeptiker vom Impfen überzeugen konnten. Einfach, weil sie ihre Patienten richtig zuhören. Ihre Sorgen ernst nehmen. Und ihnen erklären können, warum diese unbegründet sind.
Leider haben die Hausärzte begrenzte Kapazitäten – ihnen fehlen oft die finanziellen sowie logistischen Ressourcen, um dieser Aufgabe gerecht werden zu können. Weil man sich über die Vergütung nicht einig wurde, haben sich viele Allgemeinmediziner sogar ganz aus der Impfkampagne verabschiedet.
Nicht nur hören wir uns gegenseitig zu wenig zu. Nun werden sogar die professionellen Zuhörer ohne Not vor den Kopf gestossen. Das ist unerhört.