Die südkoreanische Serie «Squid Game» ist der bisher grösste Erfolg des Streaminganbieters Netflix. Die Geschichte polarisiert weltweit: Hunderten verschuldeter Menschen wird ein einmaliger Ausweg aus ihrer prekären finanziellen Lage geboten. Mit vermeintlich harmlosen Kinderspielen spielen sie gegeneinander um einen zweistelligen Millionenbetrag. Beim ersten Spiel der Pageturner: Jeder, der verliert, wird sofort erschossen. Hinter den Kulissen schauen reiche Unbekannte dem Gemetzel zu und schliessen Wetten über die Teilnehmenden ab.
Klingt brutal, ist es auch. Darauf basiert ein Grossteil der Kritik gegen die Serie. Doch mit ihrem zugespitzten Bild einer verrotteten und verkapitalisierten Gesellschaft trifft sie den Nerv der Zeit. Die koreanischen Macher verbinden Sozialkritik mit spannender Fiktion. Genau darin besteht ihre Kunst. Denn am Ende des Tages ist die Serie genau das: Fiktion. Gemacht zum Unterhalten, gedacht aber auch, um den Zuschauern etwas Tieferes zu vermitteln.
Die Fiktion will Netflix nun zur Realität machen. Vergangene Woche kündigte das Streamingunternehmen neben der zweiten Staffel auch eine auf der Serie basierende Reality-Show an: 456 echte Menschen sollen um einen Gewinn von 4,56 Millionen Dollar kämpfen. Über eine Website kann man sich jetzt schon für den Wettbewerb anmelden. Jede Person ab 21, welche die englische Sprache beherrscht, kann sich mit Videos und Bildern bewerben. Anfang 2023 sollen die Dreharbeiten starten. «Jetzt haben Sie die Chance, am grössten sozialen Experiment von Netflix teilzunehmen!», wirbt das Unternehmen. Wirklich? Am grössten Sozialexperiment oder doch eher am grössten Goldregen für Netflix?
Von der ersten Staffel hat Netflix massiv profitiert: Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg spielte «Squid Game» bisher fast 900 Millionen Dollar ein – bei Produktionskosten von nur 21,4 Millionen Dollar. Rein unternehmerisch liegt die Produktion einer zweiten Staffel auf der Hand. «Fair enough» – denn viele Millionen Fans weltweit freuen sich sicherlich darüber.
Eine Reality-Show daraus zu machen, ist jedoch pure Geldmacherei. Dass dabei der ernsthafte Kern der eigenen Inhalte verhöhnt wird, scheinen die Entscheider im Hause Netflix übersehen zu haben. Nur eines muss man ihnen zugutehalten: dass sie die Verlierer nicht erschiessen, sondern lebend davonkommen lassen.