Gibts noch jemanden, der die Klimajugend nicht für voll nimmt? Was so eine Ökobewegung auslösen kann, zeigt: das Schicksal der DDR.
Der selbsternannte Arbeiter- und Bauernstaat deckte drei Viertel des Energiebedarfs aus Braunkohle, entsprechend dick war die Luft in den Städten. Landwirtschaft und Mülldeponien vergifteten das Wasser. All dies brachte in den 1980er-Jahren mehr und mehr Menschen dazu, sich in Umweltgruppen zu organisieren. Das war der Beginn der Protestbewegung, das war der Anfang vom Ende der DDR.
Oder wie es auf dem Internetportal der deutschen Bundesregierung heisst: «Die Mauer fiel auch wegen der Umweltbewegung.»
Die Berliner Mauer fiel am 9. November 1989. Das Datum markiert eine Zeitenwende, deren positive Folgen man nicht genug betonen kann. 30 Jahre später treten nun aber auch die Schattenseiten von 1989 immer klarer hervor.
In der neusten Ausgabe des SonntagsBlick thematisieren wir die Krise bei den SBB. Wir thematisieren die Teilprivatisierung der staatlichen Entwicklungshilfe. Und wir thematisieren die Präsidentschaft von Donald Trump. So verschieden diese Themen sind – jedes einzelne steht im Echoraum des Mauerfalls.
1989 war das Jahr der politischen und gesellschaftlichen Öffnung. Darüber hinaus brach sich ein neues Verständnis von wirtschaftlicher Freiheit Bahn: Am 9. November 1989 begann die Ära des Neoliberalismus.
Ein prominenter Wortführer dieser Weltanschauung hierzulande war David de Pury, Präsident der ABB und Mitautor des 1995 publizierten «Weissbuchs» zur Wirtschaft. Darin forderte de Pury unter anderem die Privatisierung der SBB. Dazu ist es zwar nicht gekommen. Doch die SBB wurden zu einer spezialrechtlichen AG umfunktioniert. Mit Verwaltungsrat und CEO, alles dem betriebswirtschaftlichen Denken verpflichtet.
Gewiss: Die SBB haben in den letzten zwanzig Jahren in vielem vorwärtsgemacht. Die Verschleissspuren lassen sich gleichwohl nicht leugnen. Das Management hatte einzig Effizienz und Profitabilität im Auge, vernachlässigte Personal, Infrastruktur, mithin uns Kunden. Anfang dieser Woche räumte die SBB-Spitze selbst öffentlich ein, systematisch Misswirtschaft betrieben zu haben.
In einem ganz anderen Ausmass haben Staaten wie Frankreich, Grossbritannien oder die USA Teile ihrer Infrastruktur schleifen lassen. Im Zeitalter des Neoliberalismus florieren die grossen Finanz- und Wirtschaftsmetropolen. Die übrigen Regionen dagegen fühlen sich von der Zukunft zunehmend ausgeschlossen. Der Frust darüber manifestiert sich in den Protesten der Gelbwesten, im Brexit und eben in der Popularität des Menschenhassers Donald Trump.
Auch die Klimajugend ist ein Appell an die Politik, mehr Verantwortung zu übernehmen. Die Grundlagen für unser Zusammenleben nicht einfach der Wirtschaft zu überlassen.
Dreissig Jahre nach dem Mauerfall stösst der Neoliberalismus seinerseits an Grenzen. Der 9. November 2019 ist ein gutes Datum, um über die Bücher zu gehen.