Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Die Grippe grassiert, weil wir aus Corona nichts gelernt haben

Der Bund doktert an einer Impfpflicht für Mitarbeitende im Gesundheitswesen herum, sollte es eines Tages wieder zu einer Pandemie kommen. Ein heisses Eisen! Einfache und wirksame Lehren aus der Coronapandemie dagegen werden ignoriert.
Publiziert: 18.12.2022 um 00:29 Uhr
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Aktualisiert: 20.12.2022 um 10:40 Uhr
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Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

Erst das RS-Virus, nun die Grippe: Die halbe Schweiz liegt flach, die Spitäler berichten von Betten- und Personalmangel. Natürlich lässt sich die Situation nicht mit Corona vergleichen. So sind die Krankenhäuser aktuell auch darum stark ausgelastet, weil sie Operationen durchführen, die während der Pandemie verschoben werden mussten – den sogenannten Wahleingriffen. Wahr ist allerdings auch: Die Situation wäre weniger prekär, hätten wir ein paar Dinge aus der Pandemie gelernt.

Derzeit arbeitet das Bundesamt für Gesundheit an einer Revision des Epidemiengesetzes. Dem Vernehmen nach wagen sich die BAG-Juristen an so heisse Eisen wie eine Impfpflicht fürs Gesundheitspersonal. Vor diesem Hintergrund wird klar, warum Alain Berset gern das Departement gewechselt hätte... Denn sollte die Vorlage im Frühjahr tatsächlich wie im Augenblick geplant der Öffentlichkeit vorgestellt werden, kochen die Emotionen garantiert wieder hoch.

Zwar hat die Impfung Corona weitgehend den Schrecken genommen, und es ist mehr als bedenklich, wie viele Menschen diesen wissenschaftlichen Durchbruch im Nachhinein kleinzureden versuchen. Gleichwohl muss man es sich gründlich überlegen, ob bei einer nächsten Pandemie eine gesetzliche Impfpflicht ausschliesslich fürs Gesundheitspersonal eine gute Idee ist. Ein solches Gesetz birgt in jedem Fall das Risiko, den Mangel an Pflegekräften weiter zu vergrössern.

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Zugleich gäbe es wirkungsvolle und leicht umsetzbare Lehren aus der Pandemie, die von den Behörden komplett ignoriert werden. Corona brachte grosses Leid über unser Land. Corona war jedoch ebenso ein eindrückliches Beispiel dafür, was einfachste Präventionsmassnahmen bewirken: Durch das Tragen von FFP2-Masken und regelmässiges Händewaschen wurde die Verbreitung sämtlicher respiratorischer Viren nachweislich gebremst. Als die Behörden im Frühjahr Corona-Entwarnung geben konnten, hätten sie auf diesem Erfolg aufbauen sollen. Warum lancierte der Bund keine Kampagne für das Beibehalten der Handhygiene? Etwa mit der Botschaft: Covid ist geschafft – bleiben wir trotzdem sauber! Immerhin gibt es bei Coronaviren höchst selten eine Ansteckung durch den Kontakt mit Gegenständen, bei Grippe und RS-Virus dagegen sind solche Schmierinfektionen ungleich häufiger. Es war richtig, während der Pandemie in den Schulen fürs Händewaschen zu werben – jetzt wäre es noch richtiger.

Was eine professionelle Post-Corona-Informationskampagne ebenfalls hätte verhindern können: Wer heute hustet, niest und spuckt, macht einen Corona-Test. Fällt der negativ aus, haben viele das Gefühl, sie könnten ohne Vorkehrungen unter die Leute. Dieses Verhalten dürfte mit ein Grund dafür sein, weshalb die Grippesaison heuer früher losgeht als in anderen Jahren.

Unser Land hat überzeugende Erfolge mit Präventionsarbeit erzielt. Corona ist ein Beispiel, HIV ein anderes. Einst galten die Schweizer Stopp-Aids-Kampagnen weltweit als vorbildlich. Wer sich für das Thema interessiert, kann sich auf der Website des BAG die Plakate und Werbespots aus 35 Jahren ansehen. Dabei wird man freilich feststellen, dass zwei Videos aus den Anfangszeiten fehlen. Obschon vollkommen harmlos, lassen sie sich auf dem Portal des BAG nicht mehr direkt abrufen. Grund: Angeblich ist zu viel nackte Haut zu sehen.

Auf Nachfrage von SonntagsBlick erklärt das BAG diese peinliche Zensur mit den Altersbestimmungen der Videoplattform Youtube. Hätte man effektiv gewollt, hätte man die kurzen Filme selbstverständlich auch ohne Hilfe von Youtube auf die Website bringen können. So aber zeugt diese Episode von dem gestörten Verhältnis, das man beim Bund gegenüber wirksamer Präventionsarbeit zurzeit hat.

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