Jetzt grünt es allenthalben: An Bäumen und Sträuchern spriessen Blätter, Blumen stossen durchs Erdreich, Gras wächst. Frühling ists! Das Wort «grün» hat seine Wurzeln im althochdeutschen «gruoni», was mit dem englischen «grow» verwandt ist und «wachsen», «spriessen» oder «gedeihen» bedeutet. Gemäss «Werners Nomenklatur der Farben» (1821), auf die sich schon Charles Darwin (1809–1882) bei Naturbeschreibungen berief, gibt es Berg-, Lauch-, Span-, Smaragd-, Gras-, Spargel- und Olivgrün – insgesamt 16 Varianten.
«12 Farben Grün» nennt der deutsche Politikwissenschaftler Carsten Kluth (48) seine «Entdeckungsreise durch die Natur». Von 1994 bis 2016 lebte er in Berlin und arbeitete als Berater für Politik und Wirtschaft. Doch mit einer fünfköpfigen Familie konnte er sich die Mieten in der deutschen Hauptstadt nicht mehr leisten und zog aufs holsteinische Land nahe der norddeutschen Stadt Lübeck. Dort bewohnt er samt Frau und Kindern das ehemalige Haus des Grossvaters, bestaunt und beackert den wuchernden Garten.
«Das Haus wurde in den 1880er-Jahren von meinem Urgrossvater als Altenteil am Rand der damals noch schmalen Kreisstrasse auf einem Teil seines eigenen Ackers ohne grössere Fundamente auf den blossen Boden gesetzt», schreibt Kluth. Und: «Ein Uronkel verbrachte jeden Tag mehrere Stunden im Garten und liebte es, den Hummeln im zeitigen Frühjahr, wenn sie noch etwas träge waren, über ihre Rückenpelze zu streifen.» Und nun steht Carsten Kluth dort und beobachtet den «Obstbaumblütenblätterschneefall im Garten».
«12 Farben Grün» beziehen sich nicht auf «Werners Nomenklatur der Farben», sondern auf die zwölf Monate des Jahres – jedem hat Kluth ein Kapitel gewidmet. Im «April» schreibt er: «Jetzt muss man sich zügeln, nicht in die Erde zu greifen, um nachzuschauen, wer den Winter überlebt hat und wer nicht.» Den Winter beschreibt er als Zeichner mit Bleistift und Kohle, während der Sommer mit bunten Wasserfarben kleckert. Dazwischen seien die Unentschiedenen.
«In einem Buch über englische Gärtnerinnen finde ich die Behauptung, dass Männer nach dem sogenannten Grossen und Ganzen sehen», schreibt Kluth, «während Frauen jeder einzelnen Pflanze zuhören, ihr dann einen Platz anweisen, sie beobachten, unterstützen und mit ihr hoffen, bangen, leiden und sich freuen.» Mit seinen persönlichen, poetischen und professionellen Beschreibungen straft Carsten Kluth solche Klischees Lügen, etwa damit: «Zu Walpurgisnacht (30. April) steht das nesselartige, blaublühende, würzig schmeckende Gundermannkraut überall in die Höhe gestreckt.»
Ja, Kluth hat einen zauberhaft wilden Garten. Und er mokiert sich über die Nachbarn mit ihren «Angstgärten», die alles aussondern, was anders ist. «Sie hängen Nistkästen auf und nehmen gleichzeitig den Vögeln die Nahrung», so Kluth. «Sie stellen im Baumarkt gekaufte Insektenhotels auf und fahren das modernde Holz in die Deponie.» Er fragt sich, was die in ihren Gärten sehen: «Wahrscheinlich sehen sie etwas, sie sehen das Grün, und das Grün ist gut», meint er lakonisch.
Carsten Kluth, «12 Farben Grün – eine Entdeckungsreise durch die Natur», Harper Collins