Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Früher vertraute man Gott, heute dem Navi

«Si würde d'Freiheit gwinne, wenn si däwäg z'gwinne wär», sang Mani Matter in seinem Lied über eine «Wilhelm Tell»-Aufführung, die in eine Schlacht ausartete. Doch diese Bücher zeigen: Freiheit ist nur durch Selbstachtung und Respekt vor anderen zu gewinnen.
Publiziert: 19.02.2020 um 15:51 Uhr
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ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

An was denken Sie, wenn Sie das Wort «Freiheit» lesen? An Ferien am Meeresstrand? An Autofahrten ohne Tempolimit? Oder ans Recht, das zu sagen, was Sie wollen? Freiheit hat viele Facetten, es gibt nicht DIE Freiheit. Allgemein verstehen Philosophen, Juristen und Theologen darunter die individuelle Möglichkeit, ohne Zwang zwischen verschiedenen Optionen auswählen zu können.

Das World Wide Web hat uns in den letzten Jahren den Horizont erweitert und eine scheinbar grenzenlose Palette an Optionen eröffnet. Wie Traumwandler im Schlaraffenland naschen wir an diesem und jenem, beissen da rein oder schlürfen dort ein wenig – und merken nicht, dass wir mit den Krümeln oder dem Gesabber überall Spuren hinterlassen. Die Freiheit ist eine vermeintliche, und plötzlich stecken wir im Gefängnis unserer eigenen Interessen.

«Ein Weckruf im digitalen Zeitalter» setzt der deutsche Jurist und Schriftsteller Bijan Moini (35, «Der Würfel») mit seinem neuen Buch ab. Er fordert die Leserschaft auf: «Rettet die Freiheit!» Und er zeigt auf, wie sich der Mensch aus der religiösen Unabhängigkeit durch die Aufklärung intellektuell befreite und nun in die digitale Unmündigkeit begibt: «Früher vertrauten wir Gott, uns den rechten Weg zu weisen, dann unserem Verstand, nun dem Navigationsgerät.»

«Ein politischer Weckruf» nennt sich das neue Buch «Die drei Dimensionen der Freiheit» des britischen Musikers Billy Bragg (62, «A New England») im Untertitel. Am Anfang steht die Möglichkeit, alles zu tun, was man will. Dann folgt die Forderung, dasselbe anderen zu gestatten. Und daraus die Maxime, das Gegenüber zu achten. «Liberalität gibt der Freiheit einen Fokus, Gleichheit gibt ihr den Rahmen, aber erst Verantwortlichkeit gibt ihr den Biss», schreibt Bragg.

Der Rechtsgelehrte wie der Singer-Songwriter verfassten ihren «Weckruf» aus einer dezidiert linken Haltung. Noch in den 1980er-Jahren hiess die Losung in diesen Kreisen «Freiheit durch Frieden», während die Rechte damals «Friede durch Freiheit» propagierte – was bei den Linken eine Folgeerscheinung war, erachteten die Rechten als Voraussetzung. Doch angesichts der kapitalistischen Datenkraken im und der Angriffe Rechtsradikaler aus dem Netz, sind nun auch Moini und Bragg direkte Fürsprecher der Freiheit – ohne Wenn und Aber.

Bragg macht deutlich, welche Dimensionen drohen, verloren zu gehen. Und Moini demonstriert, gegen wen es diese Dimensionen der Freiheit zu verteidigen gilt: gegen den Angriff durch künstliche Intelligenz, den Angriff durch das Kapital, den Angriff von rechts aussen und den Angriff durch den Staat.

Bijan Moini, «Rettet die Freiheit! Ein Weckruf im digitalen Zeitalter», Atrium

Billy Bragg, «Die drei Dimensionen der Freiheit – ein politischer Weckruf», Heyne Encore

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