Zur Sache! Bericht aus dem Innern von Chinas Straflagern
Die Superspreader-Nation

Es geht ein Virus um, und das kommt nicht nur aus China, es heisst China. Wie kein anderes Land infiziert das Reich der Mitte die Lebensadern anderer Länder und strebt nach Weltherrschaft. Dieses erschütternde Buch lässt keinen Zweifel daran.
Publiziert: 18.07.2020 um 13:56 Uhr
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Aktualisiert: 19.07.2020 um 11:33 Uhr
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Ich wünschte, ich hätte einen Roman, eine Novelle gelesen – etwas Erfundenes wie Kafkas Erzählung «In der Strafkolonie», die zwar aufrüttelt und unter die Haut geht, die man danach aber weglegen kann. Und man kann sich dann beruhigt sagen: «Ist ja alles bloss ausgedacht von einem Schriftsteller.» Doch ich habe dieses Sachbuch gelesen. Und was darin steht, ist nicht weniger aufwühlend, aber leider wahr.

Es ist die Lebensgeschichte der Kasachin Sayragul Sauytbay, die 1976 in Chinas nordwestlicher Provinz Xinjiang zur Welt kommt. Die Gegend macht heute Schlagzeilen, weil dort das Regime rigoros gegen muslimische Uiguren vorgehen soll – angeblich aus Angst vor islamistischem Terror. Von Umerziehungslagern ist die Rede, in denen Menschen zu Tausenden der Willkür und Folter von Soldaten ausgesetzt sind. Objektive Berichte gibt es nicht, China lässt keine unabhängigen Journalisten nach Xinjiang.

Jetzt gibt es mit Sauytbay eine Kronzeugin: Ihr gelingt im April 2018 die «Flucht aus der Hölle der Lager» – wie es im Untertitel des Buchs heisst – ins benachbarte Kasachstan. Heute lebt sie mit ihrem Mann und den zwei Kindern im Asyl in Schweden. 2016 Direktorin von fünf Kindergärten, rät sie ihrer Familie, sich nach Kasachstan abzusetzen. Denn nach den Säuberungen in der Provinz sieht sie hier keine Zukunft. Doch die Trennung von ihren Lieben macht die Staatsbeamtin in den Augen der Regierung verdächtig. Will sie auch weg?

Erstes Verhör Anfang 2017, Ende des Jahres Verhaftung und Überführung ins Umerziehungslager mit 2500 Gefangenen. Folter mit Elektroschock. Fast noch grausamer ist die «letzte Prüfung», bei der Sauytbay mit hundert anderen Insassen mitansehen muss, wie Wärter eine junge Frau mehrfach vergewaltigen. Wer das nicht aushält und ihr zu Hilfe eilen will, hat die «Prüfung» nicht bestanden und wird gleich abgeführt.

«Nie wusste ich am Morgen, wie der Tag zu Ende ging», sagte Sauytbay der deutschen Journalistin und Sachbuchautorin Alexandra Cavelius (53), die den detaillierten Bericht aufgrund mehrerer Interviews aus der Sicht der Kasachin niederschrieb. Weil Sauytbay Staatsbeamtin war, betraute man sie mit der lagerinternen Umschulung, wodurch sie Einblick in ein Staatsgeheimnis bekam – den Drei-Stufen-Plan: 2014 bis 2025 Säuberung von Xinjiang, 2025 bis 2035 Besetzung der Nachbarländer, 2035 bis 2055 Besetzung Europas.

Dass dieses Buch ausgerechnet im Europa-Verlag erscheint, mag Ironie des Schicksals sein. Chinas Wille und Wahn als unabwendbares Schicksal zu betrachten, wäre hingegen fatal. Sich wie die USA aus internationalen Organisationen zurückzuziehen, macht China nur stärker. Und wenn wir uns wirtschaftlich in Abhängigkeit vom gelben Riesen begeben, sollten wir bedenken: In jedem «Made in China» könnte der Wurm drin sein.

Sayragul Sauytbay/Alexandra Cavelius, «Die Kronzeugin – eine Staatsbeamtin über ihre Flucht aus der Hölle der Lager und Chinas Griff nach der Weltmacht», Europa

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