Sind Sie kitzelig? Auf diese Frage bekomme ich von Ihnen allen bestimmt die ganze Palette von Antworten – von «sehr» bis «gar nicht». Aber es gibt wohl keinen Menschen, der dieses leicht erschauernde Hautgefühl nach der Berührung durch ein anderes Lebewesen nicht kennt. Das ist ja das Eigentümliche am Kitzel: Man kann ihn sich selber nicht zufügen. Es braucht das überraschende Kraulen durch jemand anderen.
Ein rätselhaftes Phänomen sei der Kitzel bis heute, schreibt der deutsche Biologe und Germanist Christian Metz (45) in seinem eben erschienenen Monumentalwerk zu dieser menschlichen Empfindung. «Auf irritierende Weise vereint der Kitzel Gegensätze in sich», so Metz. Er verursache Lachen, könne gleichzeitig aber eine heftige Abwehrreaktion auslösen. «Als gemischte Empfindung verursacht er im selben Moment Lust und Schmerz.»
Von sexuellem Reiz bis zu quälender Folter: So weitreichend die Bandbreite der Empfindung ist, so unterschiedlich sind die Auslöser. Die Wissenschaft unterscheidet zwischen zwei Arten des Kitzels: die sanfte Variante (Knismesis), die etwa ein krabbelndes Insekt auf der Haut auslöst und die man durch Streicheln über die Stelle beseitigt; und die harte Variante (Gargalesis), die immer mit Lachen verbunden ist.
Wie schnell Lachen in Schmerzschreie übergehen kann, belegt Metz mit dem literarischen Beispiel aus dem Roman «Simplicissimus» (1668), worin Grimmelshausen (1622–1676) Foltermethoden im Dreissigjährigen Krieg schildert: «Denn sie satzten ihn zu einem Feur, banden ihn, dass er weder Hände noch Füsse regen konnte, und rieben seine Fusssohlen mit angefeuchtetem Salz, welches ihm unser alte Geiss wieder ablecken und dadurch also kitzeln musste, dass er vor Lachen hätte zerbersten mögen.»
Solche kulturgeschichtlichen Beispiele bestimmen dieses mit «Genealogie» (Stammbaum) untertitelte Buch und weniger neurologische Hintergründe aus der Medizin. Metz, Germanistik-Dozent der Goethe-Universität in Frankfurt am Main (D), beschreibt erstmals umfassend die Begriffsgeschichte des Kitzels von den Wurzeln bei den alten Griechen bis zu den jungen Trieben in der Gegenwart und erarbeitet daraus eine Theorie des Kitzels.
Schon Kinder lieben es, zu kitzeln oder gekitzelt zu werden. Für Metz ist der Kitzel deshalb die erste gemischte Empfindung jedes Menschen, bei der es eine Balance zwischen den Gegensätzen Lust und Schmerz zu finden gilt. «Sie ist aufgrund dieser Gleichgewichtsstruktur ein Vorläufer für die weiteren vermischten Empfindungen, die im Laufe der Zeit zur Empfindungsfähigkeit des Menschen hinzugefügt werden.» Also: der Kitzel als Schulung des Gleichgewichtssinns für den Hochseilakt des Lebens.
Christian Metz, «Kitzel – Genealogie einer menschlichen Empfindung», S. Fischer