Zoologisch – Zoodirektor Severin Dressen über Artenvielfalt
Eiskalter Besuch

Der Mensch hat eine einzigartige Ausrottungswelle in Gang gesetzt. Dass täglich 150 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten ausgerottet werden, darf uns nicht kaltlassen. Der Zoo Zürich sensibilisiert mit einer Ausstellung.
Publiziert: 05.11.2023 um 06:00 Uhr
|
Aktualisiert: 08.11.2023 um 09:26 Uhr
Das Wollhaarmammut mit Jungtieren. Es starb vor 11'000 Jahren aus.
Foto: Zoo Zürich, Nick Soland
1/2
Zoo_31.JPG
Severin DressenDirektor des Zoo Zürich

Welcher nächste Verwandte unserer Asiatischen Elefanten ist ab sofort auch bei uns im Zoo Zürich zu bestaunen? Wahrscheinlich tippen jetzt viele auf den Afrikanischen Elefanten. Nein, nicht ganz. Tatsächlich ist es das Wollhaarmammut.

Lebende Mammuts gibt es nicht mehr. Vor 11'000 Jahren – am Ende der letzten Eiszeit – sind sie ausgestorben. Erdgeschichtlich sind 11'000 Jahre nicht viel. Es gibt Bäume, die so alt sind. Was zum Aussterben der Mammuts führte, ist nicht restlos geklärt. Bäume können nicht sprechen, und unsere Vorfahren hatten angesichts von Säbelzahntiger und fehlender Gesundheitsvorsorge andere Sorgen, als den Verlust der Artenvielfalt zu dokumentieren.

In erster Linie machten die Klimaveränderungen und die damit einhergehenden Lebensraumveränderungen nach dem Ende der Eiszeit den Mammuts zu schaffen. Aber auch der Mensch ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht unschuldig. Er breitete sich immer weiter aus und bejagte erfolgreich grosse Säugetiere. Nicht nur Mammuts, auch andere eiszeitliche Grosssäuger wie Wollnashorn und Riesenhirsch verschwanden in dieser Zeit.

Dass der Mensch in der Lage ist, Arten auszurotten, zeigt sich einige Tausend Jahre später. Die Dokumentationslage ist deutlich besser. Und so besteht kein Zweifel daran, dass es Seeleute im 17. Jahrhundert waren, die in nur 80 Jahren den flugunfähigen Dodo auslöschten. Er war leichte Beute und willkommenes Frischfleisch. Weitere 200 Jahre später wird das Quagga, eine Zebra-Art, in seiner Heimat Südafrika ausgerottet. Den Farmern gilt es als Nahrungskonkurrent für das eigene Vieh.

Dodo und Quagga sind Beispiele, bei denen der Mensch unwidersprochen die Ursache der Ausrottung ist. Ende des 19. Jahrhunderts sind solche Ausrottungen allerdings noch Einzelfälle.

Doch dann setzt die Industrialisierung ein, und die Welt verändert sich. Die Bevölkerungszahl explodiert – von einer Milliarde Menschen zu heute mehr als acht Milliarden. Wir werden nicht nur immer älter, wir verbrauchen auch ungleich mehr Ressourcen als noch vor 200 oder gar 11'000 Jahren. Die Kosten trägt die Natur. Der Mensch hat eine einzigartige Ausrottungswelle in Gang gesetzt.

Pro Tag verschwinden bis zu 150 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten. Ein trauriger Rekord. Und doch bleibt dieser Rekord abstrakt. Wenig greifbar und damit wenig bedrohlich. Was interessieren mich 150 ausgestorbene Pilze oder unscheinbare Insekten am anderen Ende der Welt, fragen Sie sich vielleicht.

In diesem Desinteresse liegt eine grosse Gefahr: Ist eine Art ausgestorben, ist sie unwiederbringlich verloren. Doch was, wenn genau diese eine Art eine bedeutsame Rolle in unserem Ökosystem einnimmt? Wir haben längst noch nicht ausreichend verstanden, wie unser Ökosystem genau funktioniert.

Um diese abstrakte Gefahr konkret greifbar zu machen, wagt der Zoo Zürich diesen Winter etwas Neues. Seit dem 1. November zeigt die Ausstellung «Kaltgestellt» lebensechte Nachbildungen von Mammut, Wollnashorn, Säbelzahntiger und Co. – nicht mehr existierende Eiszeitbewohner als mahnendes Beispiel für ihre nächsten, noch lebenden Verwandten wie die stark gefährdeten Asiatischen Elefanten.

Aber auch als Mahnung für die Artenvielfalt als Ganzes. Gerade auch für die unzähligen, unscheinbaren Kleinstlebewesen, die wahrscheinlich hochgradig wichtig sind für unser aller Überleben. Wir haben es also in der Hand, ob wir Asiatische Elefanten und viele andere Arten auch künftig lebendig und in echt oder nur noch aus Plastik betrachten.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?