Präsident des ETH-Rats Michael Hengartner erklärt
Wasserstoff = Zukunftsstoff?

Michael Hengartner ist Präsident des ETH-Rats – und damit so etwas wie der Chef-Forscher der Schweiz. In seiner Kolumne erklärt er Wissenswertes aus der Wissenschaft.
Publiziert: 10.10.2020 um 14:12 Uhr
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Aktualisiert: 14.10.2020 um 16:45 Uhr
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Michael Hengartner (53) ist Präsident des ETH-Rats und Kolumnist im SonntagsBlick Magazin. Zuvor war der Biochemiker Rektor der Universität Zürich.
Foto: Nathalie Taiana
Michael Hengartner

Wussten Sie, dass wir überschüssige Energie haben? Nicht immer, aber an besonders sonnigen oder windigen Tagen wird dank der wachsenden Zahl an Solaranlagen und Windrädern mehr Strom produziert, als wir verbrauchen. Diese überschüssige Elektrizität sinnvoll zu nutzen, ist nicht so einfach. Einen Teil dieser Energie können wir schon heute mit Pumpspeicherkraftwerken speichern, indem Wasser in höher gelegene Speicherseen gepumpt wird. In Zukunft werden auch vermehrt Batterien für die kurzfristige Lagerung der Elektrizität eingesetzt. Aber was soll man mit dem Rest machen?

Eine Möglichkeit, an der sowohl an der Empa in Dübendorf als auch am PSI in Villigen geforscht wird, ist die Erzeugung von Wasserstoff. Um diesen herzustellen, werden Wassermoleküle in einem sogenannten Elektrolyseur mithilfe der überschüssigen Elektrizität in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten. Der Sauerstoff kann problemlos in die Luft entlassen werden, den brauchen wir ja alle zum Atmen. Der Wasserstoff hingegen kann auf verschiedene Arten weiterverwendet werden.

So kann man damit zum Beispiel Fahrzeuge betreiben. Diese Brennstoffzellen-Autos brauchen, gleich wie herkömmliche Elektroautos, einen Elektromotor. Dieser wird aber nicht durch eine Batterie gespiesen, sondern durch die Rückwärtsreaktion von dem, was vorher im Elektrolyseur stattfand: Wasserstoff und Sauerstoff werden nun wieder zu Wasser zusammengeführt, unter Freisetzung von Elektrizität. Es ist also ähnlich wie das Laden und Entladen einer Batterie, wobei die ursprüngliche elektrische Energie nicht «in der Batterie», sondern im Wasserstoff gespeichert wird.

Brennstoffzellen-Autos bieten hohe Reichweiten, lassen sich innert Minuten betanken und sind damit auch für den Langstreckenverkehr geeignet. So können etwa Busse oder Lastwagen gut mit Wasserstoff betrieben werden. Da sie keine giftigen Abgase produzieren, sind sie auch für den Einsatz in Innenräumen interessant (Beispiel: Hochstapler in Lagerhallen). Selbst erste mit Brennstoffzellen ausgestattete Elektro-Kleinflugzeuge sind bereits in Entwicklung.

Die Wasserstoffmobilität ist zum heutigen Zeitpunkt zwar noch nicht so effizient wie die batterieunterstützte Elektromobilität. Sie bietet aber eine sinnvolle Ergänzung und eröffnet die Möglichkeit, die Überschüsse aus erneuerbarer Energie besser zu verwerten und über Monate zu speichern.

Eine zweite Möglichkeit ist die weitere Verarbeitung von Wasserstoff zu Methan. Dazu braucht es CO2, das aus der Luft entnommen wird, und Energie. Das Methan kann dann, wie Biogas, für verschiedene Zwecke eingesetzt werden. Und wie beim Biogas ist die Verbrennung dieses Methans CO2-neutral.

Die Schweizer CO2-Emissionen sollen bis spätestens 2050 auf netto null sinken – je früher, desto besser! Umso wichtiger ist es daher, die unterschiedlichen möglichen Einsätze von nachhaltigem Wasserstoff schnell in der Praxis zu testen. Forschende arbeiten schon jetzt mit Partnerinnen und Partnern aus der Industrie und der Verwaltung zusammen. Ich wünsche ihnen viel Erfolg!

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