Ich bin mächtig stolz: Demnächst werde ich, gebürtige Deutsche, Schweizerin. Letztes Wochenende aber, in einem ziemlich vollen Zug vom Tessin in Richtung Norden, verliess mich kurzzeitig dieser Stolz.
Eine italienische Familie mit ihrer herzigen dreijährigen Tochter hatte im Ruhebereich Platz genommen. Der Kondukteur wies sie unmittelbar nach dem Einsteigen höflich auf diesen Umstand hin – das Herumtoben wurde sofort eingestellt.
Die Kleine setzte sich mit ihrem Buch brav auf den Sitz und erzählte Mama leise, was sie sah. So leise, dass der Vater gegenüber und ich auf dem Nachbarsitz nebenan einnickten.
Beim Verlassen des Basistunnels öffnete ich die Augen und erblickte eine aufgebrachte Deutschschweizerin, die forsch fragte, wann die Familie denn aussteige. Schliesslich sei dies ein Ruheabteil – das stehe in drei Sprachen am Fenster!
Fremdschämen wäre eine Untertreibung für das, was ich in diesem Moment fühlte. Ein Ruheabteil ist kein Stilleabteil, geschweige denn ein Schweigeabteil. Und ein Kind ist ein Kind. Auch in unserer perfekten Schweiz.