Ich mischte Puderzucker und Mandelmehl mit Butter und verfolgte gleichzeitig die Senatswahl in Georgia auf meinem Handy. «Ich trau mich schon fast zu hoffen!», rief ich meinem Mann zu, der aus Goldfolie eine Krone für meinen Kuchen bastelte. Was hatten wir diesen 6. Januar gefürchtet, mit jedem Tag, den er näher rückte, ein bisschen mehr. Wir hatten deshalb nicht wirklich gewagt, uns zu freuen, weder über die Präsidentschaftswahl im November noch über den Beginn dieses neuen Jahres, das unter den geballten Erwartungen der Welt ja nur in den Knien einknicken kann. Doch jetzt sah es tatsächlich so aus, als würden die Demokraten die Senatsmehrheit gewinnen und ...
«Freu dich nicht zu früh», sagte Victor. Er ging an mir vorbei ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Ich liess den Teigschaber sinken. Die Bilder, die ich sah, ergaben irgendwie keinen Sinn. Obwohl sie gleichzeitig so vertraut waren. Wie ein Staatsstreich aussah, wusste ich schliesslich: aus Filmen. Beinahe gleichzeitig begann mein Telefon mit Nachrichten aus der Schweiz zu bimmeln.
Was zum Teufel ist bei euch los?
Seid ihr in Sicherheit? Geht es euch gut?
Wir denken an euch.
Was war los? Es war genau das passiert, was wir spätestens seit der Wahl befürchteten, was viele schon sehr viel länger vorausgesagt hatten. Präsident Trump würde nicht gelassen in die gute Nacht gehen, wie das Gedicht nahelegte. Nein, er würde toben wie ein zweijähriges Kind, allerdings mit weitreichenderen Konsequenzen. Wer je ein Zweijähriges betreut hat, weiss, dass ein Tobsuchtsanfall ein recht wirkungsvolles Machtmittel sein kann.
Die Galette gelang trotzdem. Wir setzten ihr die Krone auf und fuhren über zwei Brücken zu unseren Freunden, einem älteren Akademikerpaar, das Ende der Sechzigerjahre ein paar Monate lang in Zürich gelebt hatte. Dort mussten sie der Vermieterin ihres möblierten Zimmers ständig ihre Heiratsurkunde vorzeigen. Das erzählten sie mir jedes Mal, wenn ich sie sah. Es war eine Momentaufnahme, dachte ich dann immer. Ein subjektiver Eindruck, wahr und auch nicht wahr. Oder wenigstens nicht die ganze Wahrheit. Was würde ich über Amerika erzählen, fragte ich mich. Über diesen Moment.
Auf der Fahrt blieben wir zweimal im Verkehr stecken. War das einfach die immer früher einsetzende Rushhour oder eine Reaktion auf die Ereignisse? Überhaupt, was passierte normalerweise nach einem Putschversuch? Ausgangssperre, Hamsterkäufe, Unsicherheit und Panik? Das alles war ja bereits normal.
Unsere Freunde reagierten gelassener als wir. Vielleicht war das ihrem Alter zuzuschreiben. Oder der Tatsache, dass sie sich als Amerikaner in Amerika sicherer fühlten als wir. «Das ist sein Ende», sagten sie. «Klarer hätte er es nicht machen können.» Der Fernseher lief im Hintergrund weiter, wie es hier durchaus üblich ist. Immerhin hatten sie den Ton ausgeschaltet. Trotzdem musste ich immer wieder hinschauen, versuchen, die Bilder zusammenzusetzen, mit den Tickerzeilen zu verknüpfen. Wir schnitten den Kuchen an und redeten darüber, was wir tun würden, wenn wir wirklich König wären, König von allem, wenn die Papierkrone echte Macht verliehe. Doch wir assen fast den ganzen Kuchen auf, ohne dass jemand auf die Bohne biss. Die Krone blieb zusammengefaltet auf dem Tisch liegen. Niemand ist König, niemand regiert.