Milena Moser über das Leben mir ihrem kranken Partner
Wenn die Krankheit so tut, als gäbe es nur sie im Leben

Wem sagt man was und wann? Wie lange wartet man, bevor man einer neuen Entwicklung traut? Wenigstens genug lang, um sie zu kommunizieren? Dass mich diese Fragen einmal derart überfordern würden, hätte ich nicht gedacht.
Publiziert: 22.02.2020 um 14:28 Uhr
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Aktualisiert: 25.03.2020 um 10:49 Uhr
Milena Moser, Schriftstellerin.
Foto: ZVG

Auch das gehört zum Leben mit Krankheit: Dass sie immer ein Thema ist. Dass sie sich in alle Gespräche einmischt wie eine aufmerksamkeitssüchtige Diva. Sie lässt es kaum zu, dass man sie mal vergisst. Nicht zuletzt, weil immer jemand nach ihr fragt. Da habe ich in den letzten Jahren schon dazugelernt. Zum Beispiel, nicht ununterbrochen nachzufragen: «Wie geht es dir, wie fühlst du dich? Hast du Schmerzen, kannst du atmen?»

«Wenn du nicht ständig fragen würdest, ginge es mir besser!» Das musste Victor nur einmal sagen. Auch wenn es nicht immer einfach ist, ist es eine unendliche Erleichterung, über andere Dinge zu reden. Denn die Krankheit tut ja manchmal geradezu so, als gäbe es nur sie in unserem Leben!

Doch in Phasen wie der jetzigen, mit Spitalaufenthalten und Operationen, mit Komplikationen und plötzlichen Besserungen, mit ständig neuen Fragen und überholten Antworten – da kommt es mir manchmal vor, als versuchte ich ständig, hinter meinen eigenen Aussagen nachzuwischen.

Dass Victor einen so weitverzweigten und loyalen Freundeskreis hat, macht es gleichzeitig einfacher und schwerer. Geteiltes Leid ist nicht unbedingt halbes Leid. Jedes Mal, wenn ich schlechten Bericht weiterleiten muss, fühle ich mich verantwortlich für die Sorgen, die ich neu entfache. Vor allem, wenn ich zwei Tage vorher Entwarnung gegeben habe.

Das Schlimmste allerdings sind nicht Nachrichten, sondern meine Gedanken. Sobald eine Besserung eintritt, und sei sie noch so subtil, sehe ich gleich die ganze gelbglänzende Backsteinstrasse vor mir, die uns in eine unbeschwerte Zukunft führt. Ich sehe uns Hand in Hand am Meer spazieren gehen, nicht nur zehn Minuten, nein, eine ganze Stunde lang. Ich sehe uns reisen, ich sehe uns arbeiten. Meterhohe Gerüste aufrichten, ohne Angst, ohne Atemnot. Ich sehe uns … Bis wieder ein Arzt die Stirn runzelt, sich dreimal räuspert und eine Frage stellt, die mit «Wissen Sie, ob er schon mal …?» beginnt. Komischerweise werden alle schlechten Nachrichten so eingeleitet. Als ob man sie eher wegstecken könnte, wenn man sie nicht zum ersten Mal hörte. Allerdings hat der Arzt seine Frage noch gar nicht ausgesprochen, als ich schon den ganzen klammen, düsteren Gang bis zu seinem bitteren Ende entlanggerannt bin.

Als könnte ich in die Zukunft sehen! Jedes Selbsthilfebuch, jede spirituelle Schule sagt doch dasselbe: Es gibt immer nur diesen Moment. Diesen Moment, in dem wir leben. Doch erst jetzt verstehe ich, wie hilfreich das ist – oder sagen wir eher: wäre. Wenn ich nicht jeden Informationsfetzen, der durch die Luft wirbelte, auf seiner unberechenbaren Reise hier- und dorthin verfolgen würde, ohne ihn je zu erfassen. Ich schaue Victor an. Der zuckt nur mit den Schultern. Er pariert schlechte Nachrichten und Prognosen immer mit einem unverbindlichen «Wir werden ja sehen». Ich wünschte, ich könnte … Der Arzt räuspert sich.

«Wissen Sie, ob er schon zur Kardio-Reha angemeldet ist?»

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