Milena Moser
Die Tücke des Objekts und ihre tiefere Bedeutung

Die Dinge haben so eine Art, im blödesten Moment kaputt zu gehen. Kennen wir alle. Doch manchmal haben diese Ausfälle ganz unerwartete Nebenwirkungen. Sie können wunderbare Freundschaften begründen und sogar Leben retten.
Publiziert: 10.01.2022 um 14:38 Uhr
Die Schriftstellerin Milena Moser schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Im Februar erscheint ihr neues Buch «Mehr als ein Leben».
Foto: David Butow
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Milena MoserSchriftstellerin

Meine Freundin Paula hat starkes Asthma. So stark, dass sie während der feuchtkalten Wintermonate immer wieder mal im Notfall landet. Ich war ausser mir, als sie mir das erzählte: «Aber warum rufst du mich denn nicht an?», beklagte ich mich und hielt ihr gleich einen ganzen Vortrag darüber, wie wichtig es ist, um Hilfe bitten zu können. Obwohl mir das selbst auch nicht besonders liegt. Nun, neulich war es wieder so weit. Morgens um drei wachte sie auf, nach Atem ringend, ihre Kehle verschloss sich. Da erinnerte sie sich an meinen Vortrag und rief mich an. Doch ausgerechnet in dieser Nacht hatte mein Handy beschlossen, genug sei genug, und den Dienst quittiert. Mit letzter Kraft gelang es Paula, die Ambulanz zu rufen, die zum Glück schneller da war, als ich es hätte sein können, und ausserdem ein Beatmungsgerät und die richtigen Medikamente mitführte. Die Sanitäter retteten ihr das Leben.

«Wenn Sie auf Ihre Freundin gewartet hätten, wären Sie vermutlich gestorben», erklärte ihr der Notarzt später. Damit tröstete sie mich auch, als ich dann vollkommen aufgelöst an ihrem Krankenbett stand, mit einem neuen Telefon ausgerüstet und von Nachrichten aus dem Freundeskreis überschwemmt. Wenn ich mir vorstelle, was passiert wäre, hätte das Telefon in dieser Nacht normal funktioniert, wird mir ganz schlecht.

Ein gerettetes Leben

Die Sorge, dass Paula nicht so schnell wieder um Hilfe bitten würde, stellte sich allerdings als unbegründet heraus: Ich durfte sie immerhin nach Hause fahren.

Weniger dramatisch war der Tag, an dem Theresas Herd den Geist aufgab. Es war genau der Tag, an dem sie uns zum Essen eingeladen hatte. Sie wollte ein Cioppino kochen, einen speziellen, für San Francisco typischen Eintopf aus Fisch und Meeresfrüchten, und dazu ein ebenfalls traditionelles rundes Sauerteigbrot backen. In Touristenrestaurants wird dieses gern halbiert, ausgehöhlt und als Suppenschüssel verwendet.

Die Zubereitung würde Stunden in Anspruch nehmen. Und dann das: Herd und Ofen machten nicht mit. Keinen Funken Wärme gaben sie ab. Einen Moment lang überlegte Theresa, das Essen abzusagen. Doch dann packte sie kurzerhand Zutaten und Kochwerkzeug in einen kleinen Leiterwagen und schleppte alles die steile Strasse hinauf zu ihrem Nachbarn Shawn.

«Ich koche heut bei dir, und abends kommen dann Victor und Milena zum Essen», erklärte sie dem verdutzten Mann. «Du kannst gern helfen!» Shawn ist ein Nerd, ein Einzelgänger, der schon vor der Pandemie nicht gern unter Leute ging und am liebsten zu Hause arbeitete.

«Ich würde schon gern Leute einladen», erklärte er uns später. «Aber dann fang ich an, nachzudenken: Die wollen ja was essen, aber was? Was, wenn ich etwas koche, das sie nicht mögen? Oder wenn es nicht gelingt? Was, wenn sie sich nicht vertragen? Das überfordert mich.» Seit seine letzte Freundin ausgezogen war, seit vier oder fünf Jahren, hatte er keinen Besuch mehr gehabt. Doch an diesem Abend musste er nichts überlegen und nichts entscheiden, und das genoss er sichtlich. Victor hatte als Gastgeschenk einen alten Spielzeugroboter mitgebracht, und bald sassen die beiden Männer auf dem Fussboden und zogen den alten Blechmann auf, der sich ungelenk im Kreis bewegte. Theresa und ich schauten gerührt zu. Wenn das nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft war!
Ich hob mein Glas: «Auf deinen Herd!», sagte ich. Auf die Dinge, die im richtigen Moment kaputt gehen.

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