M. Prix Stefan Meierhans kämpft für Konsumenten
Grosser Reibach auf Kosten der Prämienzahler

Vorbeugen ist besser als heilen. Dieses Grundprinzip der Medizin sollte auch bei der Medikamentenvergütung berücksichtigt werden, sagt der Preisüberwacher.
Publiziert: 21.09.2020 um 15:22 Uhr
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Preisüberwacher Stefan Meierhans.
Foto: Keystone
Stefan Meierhans, Preisüberwacher

Dass die Pharmaindustrie keine Branche wie jede andere ist, wissen wir. Trotzdem ist es erschreckend, wenn das aufwendig gepflegte Image der heilenden und helfenden Heilsbringer gehörig bröckelt. Ein bekanntes Beispiel: Die feuchte Altersbedingte Makula-Degeneration (AMD) ist eine verbreitete Krankheit, die zum Erblinden führen kann. Gegen sie gibt es theoretisch zwei gleichwertige Medikamente: das (in der Menge, wie es für die AMD gebraucht wird) günstige Avastin von Roche und das teure Lucentis von Novartis. Avastin wurde eigentlich als Krebsmedikament entwickelt, wirkt aber nachgewiesenermassen auch bei AMD. So gross wie die Ähnlichkeit der Medikamente ist, so gross ist auch der Preisunterschied.

Der Normalsterbliche würde jetzt meinen: Gut für Roche, die machen das Geschäft, und Novartis schaut in die Röhre. So ist es eben nicht, denn Roche hat nie eine Zulassung für Avastin zur Behandlung von AMD auf die Liste der kassenpflichtigen Medikamente (SL-Liste) beantragt. Das etwa 30-mal (!) so teure Lucentis macht das Geschäft, weil es im Gegensatz zu Avastin für AMD auf ebendieser SL-Liste steht. Eine reguläre Verschreibung von Avastin für AMD ist somit nicht möglich.

Dass Roche nie einen Zulassungsantrag gestellt hat, ist kein Zufall. Die Wettbewerbsbehörden in Italien und Frankreich haben den Vorgang untersucht. Italien verurteilte beide Unternehmen schon 2014 wegen Absprachen zu einer Busse von insgesamt 180 Millionen Euro. Frankreich ist dieser Tage nachgezogen. Die französischen Wettbewerbsbehörden sehen «missbräuchliche Praktiken», ausserdem übertreibe Novartis die Risiken von Avastin «ungerechtfertigt». Beide Unternehmen werden mit einer Busse von 444 Millionen Euro belegt.

Neben der Strafverfolgung – welche Sache der Behörde ist – stellt sich die Frage, was geändert werden muss, um solche unnötigen Kosten zulasten der Krankenkassen künftig zu vermeiden. Eine Möglichkeit wäre, die Verordnung über die Krankenversicherung anzupassen. Es besteht bereits die Möglichkeit, wirksame Medikamente, die nicht auf der Liste stehen, durch die Krankenkassen zu vergüten. Leider ist diese Off-Label-Use-Vergütung daran gebunden, dass kein anderes wirksames Medikament auf der Liste steht.

Mein Vorschlag wäre, die Vergütung um das Kriterium Wirtschaftlichkeit zu erweitern. Wenn also ein nachgewiesenermassen wirksames Medikament vorhanden ist, das günstiger ist als die zugelassenen Alternativen, dann dürfte auch dieses Mittel vergütet werden. Auch beim Zulassungssystem sehe ich Verbesserungspotenzial. Momentan sind die Krankenversicherer kein Teil des Zulassungsprozesses. Da sie jedoch am Ende die Kosten übernehmen müssen, wäre es richtig, wenn sie mit einem Antrags- und Rekursrecht bei allen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Spezialitätenliste ausgestattet wären. Das fordere ich schon seit Jahren. Es läge am Parlament, hier Nägel mit Köpfen zu machen.

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