In meiner letzten Kolumne über Klippschliefer habe ich mich über Martin Luther lustig gemacht, der die murmeltierartigen Felsenbewohner mit Kaninchen verwechselt hat. Gott straft sofort. Oder die atheistische Erklärung: Ich sollte Kolumnen zu christlicher Zeit schreiben. Denn ausgerechnet in jener Kolumne, in der ich mich über die Fehler anderer amüsiere, unterläuft mir selber ein Lapsus. Den Klippschliefer bezeichne ich ab der Hälfte des Textes konsequent als Klippspringer. Trotz des ähnlichen Namens handelt es sich um ein völlig anderes Tier. Nehmen wird dies gleich zum Anlass, den Klippspringer etwas näher zu beleuchten.
Wer dem Klippspringer begegnen möchte, reist ins östliche und südliche Afrika - oder besucht das Naturhistorische Museum Bern. Und da ich hier arbeite, höre ich jeweils die lautstarken «Jööhh» der Besuchenden, wenn sie den zierlichen Felsenbewohner in seinem Diorama erblicken. Mit einer Schulterhöhe von bloss 45 bis 60 Zentimeter handelt es sich um die kleinste Antilope der Welt.
Weibchen ist grösser
Aber die Klippspringer sind nicht bloss knuffig, sondern haben auch biologisch einiges zu bieten. Bleiben wir gleich bei der Schulterhöhe: Bei den Klippspringern ist nämlich das Weibchen etwas grösser und schwerer als das Männchen, bei Säugetieren ist dies selten.
Eine anatomische Besonderheit ist auch der Gang auf den Hufspitzen - als wären sie Ballerinen beim Spitzentanz. Tatsächlich ermöglichen es die besonderen Hufe ihnen, virtuos über Felsen zu tänzeln. Da sie in erster Linie in unwegsamen Gebieten vorkommen, werden sie kaum bejagt. Im westlichen Afrika wurden die Klippspringer zwar ausgerottet, die Populationen der elf Unterarten gelten heute aber kaum als gefährdet.
Immer Seite an Seite
Die kleinen Antilopen sind grosse Romantiker: Nicht nur sind sie in Vollmondnächten besonders aktiv, Paare verbringen meist ihr ganzes Leben zusammen. Und die Klippspringer-Pärchen entfernen sich kaum mehr als fünf Meter voneinander. Dieser Pas de deux auf dem Felsen hat aber wohl eher pragmatische als leidenschaftliche Gründe: Wegen ihrer kleinen Grösse haben die Antilopen viele Fressfeinde.
Und ohnehin ist es so eine Sache mit der Monogamie in der Tierwelt (und bekanntlich nicht nur dort). Auch als treu geltende Arten - wie etwa der Schwan - gehen in der Paarungszeit fremd.
Simon Jäggi (39) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK