Franziska Witschi sieht, was wir nicht sehen. Die Biologin hat nicht nur ein Herz, sondern auch ein Auge für Wanzen. Sie hat festgestellt, dass einige Arten in den letzten Jahren im Siedlungsraum deutlich zugenommen haben. Und zwar nicht nur die oft gescholtene Marmorierte Baumwanze, die aus Asien eingeschleppt wurde und sich hier massenhaft vermehrt, sondern auch zum Beispiel die Streifenwanze. Einst war die wärmeliebende Art vor allem im Wallis und im Tessin anzutreffen. Sie profitiert offenbar von der Klimaerwärmung und erweitert ihr Verbreitungsgebiet gegen Norden.
Schöne Schattierungen, erstaunliche Vielfalt
Die Streifenwanze ist hübsch anzusehen, wegen ihrer rot-schwarzen Streifen wird sie zuweilen auch Pyjamawanze genannt. Zu beobachten ist sie etwa auf den Blüten wilder Rüebli oder auf anderen Doldenblüten. Die Vielfalt der Wanzen in der Schweiz ist erstaunlich, über 3000 Arten kommen in Europa vor – eine wunderbare Farben- und Formenvielfalt. Im krassen Gegensatz dazu steht das mangelnde Interesse an der Tiergruppe. Während es allein für die Gruppe der Laufkäfer eine Menge Kenner gibt, existieren kaum Experten für Wanzen in der Schweiz. Auch fehlt eine Rote Liste wie bei anderen Tiergruppen. Niemand weiss also so genau, welche Wanzen gefährdet, welche häufig sind. Dabei wären die schönen Sechsbeiner einfach zu erkennen und gute Indikatoren, um den Zustand von Lebensräumen zu beurteilen.
Der Gestank schreckt ab
Warum kümmert sich die Wissenschaft so stiefmütterlich um die Wanzen? Wahrscheinlich, weil Forschende auch nur Menschen sind. Und wir Menschen haben kein sonderlich gutes Verhältnis zu Wanzen. Dafür ist vielleicht nur eine Wanze unter vielen verantwortlich: die Bettwanze. In früheren Zeiten teilten wir unsere Schlafstätten mit den Plagegeistern. Bettwanzen stechen, um sich an unserem Blut zu laben. Eine Zeit lang galten die ungeliebten Bettgenossen in der Schweiz als ausgerottet, aber durch unser reges Reiseverhalten werden immer wieder Bettwanzen eingeschleppt. Als unangenehm empfinden wir Wanzen aber auch wegen ihres stinkenden Wehrsekrets, mit dem sie den Vögeln und anderen Räubern den Appetit zu verderben versuchen. Biologin Witschi hat auch hier ein besonderes Verhältnis: Schon als Kind mochte sie die Beeren lieber, auf denen Wanzen ihren eigentümlichen Duft hinterlassen hatten.
Simon Jäggi (39) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK.