Die unantastbare Würde des Menschen: Regelmässig hören wir davon, von Politikern, in den Medien. Aber leben wir danach? Behandeln wir Menschen so, als hätten sie eine unantastbare Würde, seien es Freunde oder Feinde, Nachbarn oder Ausländer? Sehen wir viel Würde und Respekt, wenn wir beobachten, wie Politiker, Arbeitskollegen oder Fremde miteinander umgehen? Sehen wir die Menschheit insgesamt als etwas Würdevolles – oder eher als etwas Gefährliches, als Ursache von Krieg, Umweltzerstörung, Überbevölkerung?
Zumindest in Westeuropa scheint die Stimmung seit Jahren gereizt, freudlos, pessimistisch, wenn es um die Einstellung der Menschen zur Menschheit geht. Man achtet Wälder und Blumen, setzt sich ein für den Erhalt von Bienen und Berggorillas und natürlich für das Klima.
Wie wärs mit Humanökologie?
Aber nicht für das werdende menschliche Leben, schon gar nicht für Kinderreichtum. Umweltökologie? Ja, natürlich. Aber keine Humanökologie. Viele betrachten bereits den Wunsch nach mehr Kindern als unverantwortlich. Und die Seele des Menschen, die gemäss Christentum ewig ist und sich nach Gott sehnt? Oder mit den Worten von Augustinus (354–430): «Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Gott.»
Dem naturwissenschaftlich verkürzten Blick von heute erscheint das alles eher wie die Unruhe eines komplizierten Affen. Hinzu kommt, dass wir uns selber zunehmend wie Leistungssubjekte betrachten. Wir behandeln uns als Gegenstand der Optimierung, sortieren unerwünschtes Leben schon am Anfang im Labor aus und treiben den alten, leistungsschwachen Menschen in die chemische Selbsttötung. Erfasst vom Sog einer entgrenzten Dynamik lassen wir uns «glätten», bis wir das Humankapital darstellen, das sich die globalisierten Märkte wünschen.
Grösser und geheimnisvoller
Unantastbare Würde? Vielleicht müssen wir uns neu daran erinnern, was das bedeutet: Jeder Mensch ist einmalig und kostbar, unabhängig von seinen Leistungen, seinen äusseren Merkmalen oder seiner gesellschaftlichen Stellung. Wir sind mehr als alles, was wir tun können oder was die Gesellschaft in uns sieht. Wir sind grösser, geheimnisvoller als alle unsere Selbstaussagen, unsere Urteile. Wir sind Wesen mit Geist und Seele. Wir übersteigen Gesellschaft und Natur. Wir übersteigen die Biologie und alles naturwissenschaftlich Feststellbare.
Ich weiss: Das klingt heutzutage ziemlich abgehoben, naiv, sentimental. Es ist trotzdem wahr.
Giuseppe Gracia (52) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. In seiner BLICK-Kolumne, die jeden zweiten Montag erscheint, äussert er persönliche Ansichten.