Kürzlich ist ein Freund von mir gestorben, eine warmherzige, freundliche Seele. Die Trauer, die Beerdigung, das Abschiednehmen, der Wunsch, es möge trotz allem noch eine weitere Begegnung geben, es möge nicht für immer vorbei sein: Das ist eine grosse Überforderung.
Der Tod ist der Einbruch des Absoluten in unseren Alltag. Der Fluss der Zeit, in dem sich alles laufend verändert, alles in Bewegung bleibt und uns vorantreibt, wird plötzlich unterbrochen, wird radikal, grundlegend verändert. Es ist die Stunde, die sagt: Es gibt das Unvorstellbare, Allgewaltige. Es greift nach deinen Freunden und Verwandten und reisst sie von dir weg. Und es greift auch nach dir, sucht dich schon.
Der Taumel der letzten Fragen
Der Tod eines Menschen, mit dem wir gern mehr Zeit verbracht hätten, löst in uns den abgründigen Taumel der Frage aus: «Ist dies das Ende? Gibt es nur diese Welt, fallen wir nachher ins Nichts?» Im Vergleich dazu erscheint die technisch geplante, digitalisierte Gesellschaft unserer Tage wie ein Turmbau, an dem alle fleissig mitbauen, in dem alle sich ununterbrochen beschäftigen, amüsieren, lieben, hassen. Ein Turm, aus dem der Abgrund des Todes, so gut es geht, verdrängt wird. Keine letzten, unheimlichen Fragen.
Und wenn ein Freund stirbt, interpretiert man das irgendwie als Abbruch der vitalen Funktionen, ähnlich wie bei einer Maschine, die nicht mehr repariert werden konnte. Oder man sieht den Menschen grundsätzlich als Tier, das wie alle Tiere eben seine Zeit hat und dann zu Staub wird. Ende der Geschichte. Das Problem: Was machen wir mit unserem Bewusstsein, mit der Liebe, die nach Höherem strebt, den Träumen, Hoffnungen? Mit dem Geist, der weiter sucht, der immer noch einmal nachfragen kann, getragen von unendlicher Sehnsucht?
Der Tod trifft uns in der Seele
Das muss man alles betäuben, aus dem Alltag verbannen. Oder man lässt die Überforderung des Todes bewusst zu, sieht darin den Abgrund der letzten Existenzfragen, der an unsere Tür klopft. Den Abgrund, der uns tief in die Seele trifft und gerade so daran erinnert, dass wir eine Seele haben. Dass wir mehr sind als Biologie und Staub. Oder mit Johann Wolfgang von Goethe: «Ich habe die feste Überzeugung, dass unser Geist ein Wesen ist ganz unzerstörbarer Natur. Es ist ein fortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit, der Sonne ähnlich, die bloss vor unsern irdischen Augen unterzugehen scheint, die aber eigentlich nie untergeht, sondern unaufhörlich fortleuchtet.»
Giuseppe Gracia (52) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. In seiner BLICK-Kolumne, die jeden zweiten Montag erscheint, äussert er persönliche Ansichten.