Politik und Medien reden viel von Frauen, von den Herausforderungen, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen. Frauen sollen Mutter sein, Karriere machen und sich selbst verwirklichen, unabhängig vom Familienleben. Deutlich weniger reden Politik und Medien über Männer, noch weniger über Väter. Dabei wäre das ebenso wichtig. Denn die heutigen Familien leiden nicht so sehr unter abwesenden Müttern, sondern unter abwesenden Vätern.
Nach wie vor sind die meisten Alleinerziehenden in unserer Gesellschaft Frauen. In der Grundschule sind die meisten Lehrpersonen Frauen, in der Pflege oder im Sozialbereich arbeiten ebenfalls überwiegend Frauen. Und in den Familien erleben die Kinder meist nur die Mutter, wenn es um tägliche Beziehung und Erziehung geht. Die Männer sind entweder an der Arbeit und verbringen zu Hause weniger Zeit, wenn sie nicht sowieso getrennt von den Kindern leben. Hinzu kommt, dass die Kinder auch in der Grundschule kaum männliche Vorbilder erleben.
Ein Vorbild von einem Mann
Erstaunlich im Grunde, dass die Politik dieses Problem nicht schon lange wahrnimmt. Jedenfalls thematisiert man es nicht mit der gleichen Dringlichkeit wie Frauenfragen. Dabei ist es elementar, dass Kinder männliche Vorbilder in der Schule haben und dass sie auch ihre Väter regelmässig sehen, um in der Beziehung mit ihnen heranzuwachsen.
Mädchen können von einem Vater lernen, was sie später einmal von einem Mann erwarten dürfen. Glänzt der Vater durch Abwesenheit, oder ist er nur halbherzig bei der Sache, kann das unbewusst so ankommen: «Auf Männer ist kein Verlass, die sind nur halb vorhanden, wenn überhaupt.» Jungs lernen vom Vater, was es heisst, Mann und Vater zu sein, und bei emotionaler oder physischer Abwesenheit kann das so ankommen: «Ein Mann kümmert sich nicht um das Zeug zu Hause, sondern jagt irgendwo da draussen wichtigeren Dingen hinterher.»
Ungut für alle
Das sind Männerbilder, die nicht zu einer gesunden Entwicklung führen und damit nicht zu einer gesunden Gesellschaft. Und es stellt Vätern, die so leben, kein gutes Zeugnis aus. Oder mit den Worten des Schriftsteller Thornton Wilder (1897–1975): «Die strengsten Richter eines Mannes sind seine Kinder.»
Giuseppe Gracia (52) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. Sein neuer Roman «Der letzte Feind» ist im Fontis Verlag, Basel, erschienen. In der BLICK-Kolumne, jeden zweiten Montag, äussert er persönliche Ansichten.