Kolumne «Weltanschauung»
Der Mensch als Krankheit

Esoteriker, Naturromantiker und Sekten sehen sich durch die Coronaseuche bestätigt. Heute findet man schneller einen überzeugten Naturfreund als einen überzeugten Menschenfreund.
Publiziert: 13.04.2020 um 22:59 Uhr
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Aktualisiert: 21.06.2020 um 20:02 Uhr
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Giuseppe Gracia, Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur.
Foto: Thomas Buchwalder
Giuseppe Gracia

Die Corona-Krise hat viele Gesichter, manche davon sind bedenklich. Zum Beispiel ein Plakat der Klimaaktivisten von Extinction Rebellion, auf dem zu lesen stand, wir Menschen seien «die Krankheit» und das Coronavirus «die Heilung». Selbst wenn das Plakat eine Fälschung ist, wie einige behaupten, passt die Botschaft zu vielen weltverbesserischen Gruppen der Geschichte.

Esoteriker, Naturromantiker, Sekten: Ihre Gemeinsamkeit ist stets, dass sie die Welt heilen wollen, indem sie die Menschheit reinigen. Reinigen von falschen Überzeugungen und Lebensgewohnheiten. Reinigen von minderwertigen Rassen, wie beim Faschismus. Reinigen von bösen Kapitalisten, wie beim Kommunismus. Reinigen von ungerechten Freiheiten, wie beim Sozialismus. Reinigen von der bösen Staatsmacht, wie bei den Anarchisten.

Der gereinigte Mensch

Im Kern geht es um Menschenfeinde, die nicht in der Lage sind, den Menschen so zu lieben, wie er ist. Den real existierenden Menschen, in dem «die Lust des Tieres und die Lust des Engels wohnt, beides zugleich», so der Denker Thomas von Aquin (1225–1274). Viele Weltverbesserer lieben nur eine Idealvorstellung. Der starke, rassenreine Mensch. Der gerechte, klassenlose Mensch. Der gesunde, klimaneutrale Mensch. Der vernünftige, aufgeklärte Mensch. Der selbsterlöste, vom Schmutz der Welt gereinigte Mensch.

Immer geht es um ein Wunschbild. Und sobald sich zeigt, dass wir in Wahrheit nicht so stark, gesund, vernünftig und klimaneutral sind, schlägt das Wunschbild in Verachtung um. Verachtung gegenüber der dummen, fehlgeleiteten Menschheit, ohne die unser Planet besser dran wäre.

Gefragt ist Nächstenliebe

In Zeiten von Corona ist es umso wichtiger, sich gegen einen solchen Pessimismus zu wehren. Es ist besser, man übt sich in Nächstenliebe, auch wenn das schwerfällt. Heute findet man schneller einen überzeugten Naturfreund als einen überzeugten Menschenfreund. Mehr Nächstenliebe kann uns also nicht schaden. Naturschutz ist zu wenig. Oder wie kürzlich ein Journalist dieser Zeitung auf Twitter schrieb: «Es gab immer grosse Naturfreunde, die in Wahrheit Menschenfeinde sind. Einer von ihnen ass sein Leben lang vegetarisch, ordnete seine Politik einer vermeintlichen natürlichen Ordnung unter und konnte sehr liebevoll sein. Zu seinem Schäferhund.»

Giuseppe Gracia (52) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. In seiner BLICK-Kolumne, die üblicherweise jeden zweiten Montag erscheint, äussert er persönliche Ansichten.

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