Schwester Mili meldet sich zum Dienst. Falls Sie sich mein Leben etwas glamouröser vorgestellt haben, dann tut es mir leid. Aber ich muss Ihre Illusionen zerstören. Lassen Sie mich nur kurz diese Bettpfanne hier leeren …
Victor und ich haben wieder mal im Parnassus Inn eingecheckt. Das ist leider kein romantisches Bed and Breakfast an der Küste, sondern unser Kosename für die Uniklinik an der Parnassus Avenue. Unser zweites Zuhause, so kommt es mir manchmal vor.
Die Uniklinik in San Francisco ist eines der angesehensten Spitäler der Welt, hat die besten Ärzte, liegt in der Forschung ganz vorn. Doch bei der Pflege harzt es gewaltig. Da wird gespart. Verstehen Sie mich nicht falsch, das Personal ist fantastisch – nur über die Schmerzgrenze hinaus strapaziert. Und in Amerika ist es (wie auch in manchen anderen Ländern) üblich, dass die Angehörigen einen Teil der Pflege übernehmen. Waschen, anziehen, Essen besorgen, füttern – und ja, Kotzbecken und Bettpfannen leeren.
Allerdings musste ich das auch in einer feudalen Schweizer Privatklinik für meine Mutter tun. Vielleicht ist das einfach meine kosmische Aufgabe. Schliesslich hat mir eine Schriftstellerkollegin schon vor zwanzig Jahren versichert: «Deinen Büchern merkt man einfach an, dass du dein WC selber putzt.» Ob das als Kompliment gemeint war, ist nicht klar, ich habe es aber auf jeden Fall so verstanden. Damit hadere ich gar nicht. Was mich fertigmacht, ist die Hilflosigkeit. Zuschauen zu müssen, wie ein geliebter Mensch leidet, ohne dieses Leiden lindern zu können. Wie man damit umgeht – keine Ahnung!
Während Victor sich also von einer nicht ganz einfachen Herzoperation erholen soll, macht sein Bettnachbar gerade einen unfreiwilligen Entzug durch. Das hört sich durch den dünnen Vorhang, der die Betten trennt, ziemlich fürchterlich an. Aber mein Mitleid hält sich in Grenzen, oder eher, es konzentriert sich auf Victor und auf sein wundes Herz, das unter jeder gebrüllten Drohung zusammenzuckt. Die nach der Operation so ausgeglichenen Herzrhythmuskurven verrutschen wieder, der Monitor protestiert piepsend. Und ich gebe dem Bettnachbarn die Schuld, der ja auch nichts dafür kann, dass er auf dieser Abteilung, in diesem Bett gelandet ist. Wenn schon, dann ist Ronald Reagan verantwortlich, der als Gouverneur die psychiatrischen Krankenhäuser und Abteilungen aufgelöst hat.
Nantida, die Pflegehelferin, wechselt mit engelsgleicher Geduld zehnmal hintereinander die Bettwäsche, weicht Joes Wurfgeschossen aus und sammelt sie wieder auf, lässt seine immer übleren Beleidigungen an sich abprallen. «Come on now, Joe!» ist die strengste ihrer Ermahnungen. Wie macht sie das nur? Auf der anderen Seite des Vorhangs schwitze ich schon, presse meine Fingernägel in die Handflächen und vergesse zu atmen. Je besser es dem Mann geht, desto unflätiger wird er. Hat er erst nur undifferenziert und pausenlos «Ich bring euch alle um!» beziehungsweise «Ihr wollt mich alle umbringen!» geschrien, wird er nun spezifisch. Und persönlich.
«Na, du Schlitzauge, wo kommst du denn her – China? Thailand?»
«Come on now, Joe!»
«Was bist du, Filipina? So hübsch wie du bist … Japanerin? Nein? Nun komm schon, was bist du?»
«Ich?», sagt Nantida würdevoll. «Ich bin ein Mensch.»
Ich bin ein Mensch.