Kolumne «So ein Ding!»
Einfach bestrickend

Der Mode-Kaufrausch – alle paar Wochen ein neuer Trend – ist vorerst gestoppt. Berauschend können Kleider natürlich weiterhin sein. Zum Beispiel ein handgestrickter Pullover.
Publiziert: 14.11.2020 um 12:03 Uhr
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Aktualisiert: 14.11.2020 um 19:14 Uhr
Lisa Feldmann, Kolumnistin.
Foto: zVg
Lisa Feldmann

In diesem Winter kommt ein Kleidungsstück zu neuen Ehren, das in meiner Garderobe seit Jahrzehnten einen Spitzenplatz besetzt. Schon auf Bildern meiner Kindheit trage ich stolz von meiner Gotte handgestrickte Pullover, sie kopierte auf Wunsch jedes Modell, solange man ihr eine anschauliche Illustration lieferte. Das Objekt meiner Begierde war damals ein Shetland-Pullover, dem der Heldin meiner geliebten «Fünf Freunde»-Bücher nachempfunden: in Marineblau, mit Raglan-Ärmeln; jedenfalls war Georgina, genannt George, in genau so einem Pullover auf dem Buchdeckel zu sehen.

Auch als ich erwachsen wurde und meine Inspirationen aus Modemagazinen bezog, investierte ich am liebsten in einen neuen Pullover. Dessen Stil oder Machart definierte meinen Style, nicht Rocklängen oder Hosenschnitte. Als ich ins Berufsleben eintrat, zu Beginn der Neunzigerjahre, lockerte sich zu meinem grossen Glück die klassische Kleiderordnung gerade: Das steife Damenjackett trat seinen Rückzug in die Etagen der Banken und Versicherungen an (zusammen mit den Krawatten der Männer), in den kreativen Branchen punktete man jetzt mit Designer-Strick.

Trendmaschine gestoppt

Irgendwie kam diese schöne Weltordnung in den letzten Jahren durcheinander. Die Modewelt geriet aus den Fugen, Billiganbieter waren aus dem Boden geschossen, und Kleider einkaufen mutierte zum Freizeitspass, abgekoppelt vom tatsächlichen Bedarf. Unter dem Druck zweistelliger Zuwachsraten wurden immer neue Looks kreiert. Wichtig war, dass man sie möglichst rasch als überholt stigmatisieren konnte, um neuen Kaufanreiz zu erzeugen. Extrem modisch sollte das jeweilige Teil sein – und bitte herstellbar für dreimal nichts. Parallel dazu suggerierten Influencer in sozialen Netzwerken die Relevanz immer neuer Kleider, als hinge unser Leben davon ab.

Die Pandemie hat dieses System ausgehebelt. Das ziellose Bummeln durch überfüllte Geschäfte ist dem Anschaffen dringender Alltagsprodukte gewichen. Auch die digitalen Boutiquen haben abgegeben – wen könnten wir schon mit einer neuen Handtasche beeindrucken, solange die Büros verwaist sind und jede Feier auf den engsten Familienkreis beschränkt ist?

Genau der!

Bleibt nur dieser magische Moment … Du siehst etwas und weisst: Das musst du haben. Für dich ganz allein. Weil dir dein Leben ohne dieses Teil mit einem Mal sinnlos vorkommt. In meinem Fall wird es ein handgestrickter Pullover sein. Genau der, von dem ich schon immer geträumt habe.

Lisa Feldmann hat sich schon als Chefredaktorin der Zeitschrift «Annabelle» über die tiefere Bedeutung unserer alltäglichen Lifestyle-Produkte Gedanken gemacht. Heute liest man darüber jeden zweiten Samstag hier und auf Instagram unter feldmanntrommelt. Zu hören ist sie im BLICK-Podcast «Bikini».

Foto Pullover: Modell «Smilla» von Jürgen Claussen.

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