Kolumne «Der Alte»
Rote Rosen für die AHV

Wer das Solidaritätsprinzip der AHV angreift, hat dieses Schweizer Meisterwerk nicht begriffen.
Publiziert: 04.06.2019 um 23:58 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:05 Uhr
Helmut Hubacher, Ex-SP-Chef Schweiz.
Foto: Thomas Buchwalder
Helmut Hubacher

Jungpolitiker sorgten mit einer BLICK-Schlagzeile für politische Aufregung: «Junge wollen für Reiche AHV streichen.» Warum nicht, dachten einige. Die Idee hat einen Haken: Was wir haben, ist einmalig auf der Welt.

Es müssen unheimlich kluge Köpfe gewesen sein, die vor 70 Jahren die AHV aufgegleist hatten. Ihnen gelang ein Wurf wie seither kein zweiter mehr.

Der Finanzmodus übertrifft sämtliche Vorstellungen. Sein Prinzip: Unbegrenzte Beitragspflicht bei begrenzten Renten. Das tönt kompliziert, ist jedoch einfach zu erklären. Mit einem Beispiel.

Manager wie Lokführer

Ein Manager verdient laut Lohnausweis fünf Millionen Franken. Er und der Arbeitgeber zahlen je 4,2 Lohnprozent AHV-Beiträge. Zusammen sind das 8,4 Prozent oder 84'000 Franken pro Million. Mal fünf macht 420'000 Franken im Jahr. Dereinst wird er die AHV-Maximalrente beziehen wie, sagen wir, ein SBB-Lokführer.

Die deutsche AHV nennt sich Altersvorsorge. Deren Leistungen sind nicht etwa höher als die der AHV. Die Beiträge allerdings wohl. Die Deutschen zahlen 19,3 Lohnprozent. Gut das Doppelte wie bei der AHV. Beitragspflichtig sind bloss die ersten 5000 Euro des Monatslohns.

Von oben nach unten

Die AHV wird nach dem Solidaritätsprinzip finanziert. Wer mehr hat, zahlt mehr. Es findet eine Umverteilung von oben nach unten statt. Das ist nur möglich, weil sie für alle obligatorisch ist. Freiwillig würden Reiche nicht mitmachen.

Wer waren die Architekten der AHV? FDP-Bundesrat Walther Stampfli, Solothurn, und SP-Nationalrat Robert Bratschi, Bern, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Erstaunlich ist, dass der freisinnige Stampfli diesen Finanzmodus durch alle Böden verteidigt hatte. Heute wäre das undenkbar.

Freisinniger mit Herz

Mit Robert Bratschi politisierte ich noch vier Jahre im Nationalrat. Vorher war er als Gewerkschaftsboss der Eisenbahner mein Chef gewesen. Von ihm habe ich erfahren, was für ein Mensch und Politiker der freisinnige Bundesrat Stampfli war. Er habe mit dem Herzen entschieden, so Bratschi. Aus Dankbarkeit, weil die Schweiz den Weltkrieg heil überstanden hatte. Sein Wunsch: Nun könnten wir uns doch eine grosszügige AHV leisten. Der Finanzmodus ist bis heute das Prunkstück geblieben.

Helmut Hubacher (93) war von 1975 bis 1990 Präsident der SP Schweiz. Er schreibt jeden zweiten Mittwoch im BLICK.

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