Kolumne «Der Alte»
Feindbild und Altersbonus

Als aktiver und streitbarer Politiker war Helmut Hubacher (93) für viele ein Feindbild. Eine der Folgen waren Socken für eine halbe Kompanie und Unterwäsche für zehn Jahre vor seiner Haustür. Heute erlebt er ganz anderes.
Publiziert: 07.05.2019 um 23:13 Uhr
Helmut Hubacher, Ex-SP-Chef Schweiz
Helmut Hubacher

Als Nationalrat bekam ich Beifall und Pfiffe. Auch Morddrohungen, etwa mit einem Schuss Munition. Die übergab ich der Polizei. So war es abgemacht.

Regelmässig um vier Uhr morgens wurde ich aus dem Schlaf geschällt. Als es nicht aufhörte, verlangte ich eine Fangschaltung. Der Spinner erklärte, ich hätte ihn im Tram angeschaut, aber nicht gegrüsst.

Herrlich reagierte die Kioskfrau in Bern. Sie begrüsste mich stets mit Herr Professor. Sie kenne zwar die Parlamentarier, vergesse aber ihre Namen. «Ich sage allen Professor.»

Als ich bei Rot die Strasse überquerte, reklamierte eine Frau sehr laut: «Hubacher, Rot gilt auch für Nationalräte!» Am Bahnhofskiosk in Luzern tat es ein Mann: «Der Herr Nationalrat kann halt nicht warten, bis er an der Reihe ist.» – «Er ist es», rettete mich die Verkäuferin.

Zwei Wochen lang lagen abends Pakete vor der Türe. Bestellte Ware mit gefälschter Unterschrift. Geschirr und Besteck für Lachs, eine Magnumflasche Wein für 920 Franken, eine Jazz-Trompete, Socken für eine halbe Kompanie, Unterwäsche für zehn Jahre, ein Medizin-Lexikon und, und, und. Gesamtwert: 30‘000 Franken. Jesses, ein Riesengestürm, bis alles geregelt war.

Eine Maturandin aus Wattwil konsultierte mich für ihre Abschlussarbeit. Das passiert etwa. Empfohlen hat mich ihr Grossvater. Wie meistens. Der Vater mag mich weniger. Tauchte ich auf dem Bildschirm auf, habe er den Fernseher abgestellt.

Die Direktorin vom Modehaus XY rief mich an, Massanzüge passten nicht zu einem Sozi. Sie habe mich im Zug beobachtet. «Falsch geschaut», bellte ich zurück, «mit meiner Figur brauch ich doch nicht Massanzüge!»

Das tagespolitische Hickhack machte mich für viele zum Feindbild. Das ist jetzt vorbei. Mein Ansehen ist gestiegen, als ob ich alles richtig gemacht hätte. Es hagelt Komplimente. Ich werde im Nachhinein als SP-Präsident immer besser. Das ist der Altersbonus. Gastiere ich bei SP-Sektionen, werden Gret und ich oft per Auto abgeholt und heimgefahren. Statt wie früher als Honorar eine Flasche Wein. Jetzt gibts noch drei dazu.

Ich laufe sicherheitshalber mit dem Stock. Und muss im Tram nicht mehr stehen. Die Leute sind richtig lieb. Ich geniesse den Altersbonus.

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