Juhui, noch eine Woche, und die Frisiersalons sind wieder geöffnet. Der Bundesrat hat eingesehen, dass auch in der Corona-Krise auf Coiffeure nicht verzichtet werden kann.
Wobei: Können Sie sich die biblische Eva mit kurzen Haaren vorstellen? Auch der prächtige Samson verlor seine Potenz in dem Moment, als die Philister ihm im Schlaf die lockig-langen Haare kürzten.
Früher war klar: Langes Haar trugen Könige, Krieger, Märtyrer, fromme Männer und verführerische Frauen, ausserdem Edelleute und Würdenträger. Am kurzen Haar erkannte man den Untertan. Das Abschneiden der Haare war und ist ein Ritual der Unterwerfung, Demütigung oder Selbstbestrafung.
Gezähmte Haare, gezähmtes Wesen
Natürlich sind Frisuren auch heute noch bedeutsam. Nur sind sie komplizierter zu lesen. Die Hippies kultivierten den ungegängelten Haarfluss noch als Freiheit. Doch aktuell müssen sich sowohl die Kontrolleure als auch die Kontrollierten regelmässig in die Hände der Haareschneider begeben: Im Militär wie im Gefängnis wie in den Chefetagen wie im mittleren Kader – überall beweist der akkurate Kurzhaarschnitt die beugsame Einordnung ins System. Auch Frauen, die Führungspositionen beanspruchen, zeigen ihre Haare gerne gezähmt und glanzgepflegt.
So manifestiert sich Demokratie: Vor dem Coiffeur sind wir alle gleich. Wir treten bei ihm ein und werden beäugt. Er kann gerade Farben mischen oder den Föhn über jemandes Haupt schwingen, aber sein Blick, geworfen wie ein Lasso, reduziert uns zu dem, was wir sind: zu einer ungepflegten, bedürftigen Kreatur.
«Sind Sie zufrieden?»
Es gibt verschiedene Friseure: geschwätzige, gelangweilte, einsilbige, freundliche, überschwängliche, deprimierte, distanzierte. Aber das Verhältnis zu ihnen ist immer dasselbe, es ist eines zwischen Herr und Opfer. Unser Kopf ist in seiner Hand. Wir sind ihm ausgeliefert. Und wenn er uns am Ende fragt: «Sind Sie zufrieden?», so können wir nur lügen und zwischen den Zähnen ein Ja hervorpressen. Vielleicht fühlen wir uns sogar wohl. Aber tief drin wissen wir: Wir wurden zurechtgestutzt.
Ab dem 27. April also ist es wieder so weit: Dann können wir von neuem zeigen, dass wir ideale Untertanen sind. Alles wird gut.
Ursula von Arx lässt sich die Haare von ihrem Ehemann schneiden. Der macht es wenigstens viel schneller als jeder Coiffeur, bei dem sie je war. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im BLICK.