Kolumne «Alles wird gut»
Der Sexappeal der Mässigung

Man muss nicht reisen, um zu sich selbst zu finden. Der Rückzug ins traute Heim tut uns gut, und auch der Welt. Aber muss man deswegen gleich neue Kuscheldecken kaufen?
Publiziert: 09.02.2020 um 23:05 Uhr
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Ursula von Arx, Autorin.
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Ursula von ArxJournalistin und Buchautorin

Die Frage, ob Geld und Geist zusammengehen, wurde einst negativ beantwortet. Einen Künstler zum Beispiel, der mit seiner Kunst viel Geld machte, beäugte man mit Misstrauen, Geld war irgendwie obszön. Ein wahrer Künstler hatte erfolg- und damit mittellos zu sein und von tiefschürfenden Sinnsuchereien durchdrungen. Da war einer vielleicht bloss faul, erhob aber diese seine Faulheit zur existenziellen Schaffenskrise. Und durch diese kreative Umdeutung verlor das Versagen alles Niederschmetternde.

Im Gegenteil, es wurde zu einem Erkennungszeichen und Qualitätsmerkmal. Der Künstler war ein leuchtender Vorturner des Minimalismus: wenig produzieren, wenig konsumieren als identitätsstiftendes Ideal. Ihm, dem grossen Künstler – innerlich reich, äusserlich in armen Verhältnissen lebend –, galt in diesen guten alten Zeiten manches Stossgebet, das abenteuerlustig-romantische Mädchen zum Himmel schickten, wenn sie abends in ihren schmalen Bettchen lagen, bei funkelndem Verstand und offenem Herzen.

Auspuffrohr eines SUVs

Bravo! Daran sollten wir uns ein Vorbild nehmen. Fangen wir an. Feilen wir am Sexappeal der materiellen Mässigung. Weniger ist besser! An unserem bescheidenen Wesen soll die Welt genesen! Ist es zum Beispiel nicht eine Beleidigung unserer Intelligenz, dass wir uns von konsumobsessiven, kapitalistisch gefrässigen, wachstumsgetriebenen Gedanken anleiten liessen und die Hoffnung nährten, das pornografisch überdimensionale Auspuffrohr eines SUVs übertrage sich irgendwie auf die Physis seines Lenkers?

«Cocooning» ist wieder im Trend

Dass als Reaktion auf Klimaangst und Flugscham ein neuer Trend ausgerufen wird, der natürlich ein alter ist und vor über 20 Jahren schon mal ausgerufen wurde, «Cocooning» nämlich, also der Rückzug ins traute Heim, nein, das wundert uns nicht. Finden wir sogar in Ordnung. Wir gehören ja nicht zu jenen, die glauben, man müsse reisen, um zu sich selbst zu finden, Gott bewahre.

Allerdings kaufen wir auch keine neuen Kuscheldecken, und auf die zum neuen Lifestyle passenden, angeblich unabdingbaren «richtigen» Lampen sind wir auch nicht scharf, denn: Wir sind ja nicht doof. Wir haben Besseres zu tun, als den Kapitalismus zu retten. Wir retten die Welt. Alles wird gut.

Ursula von Arx bemüht sich, Überflüssiges zu meiden, und errötet gerade, wenn sie an ihren Kleiderschrank denkt. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im BLICK.

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