Gopfried Stutz über die BVG-Revision
Zur «Mini-AHV» von Alain Berset

Schon seit Jahren müssen die Erwerbstätigen nicht nur in der AHV, sondern auch in der beruflichen Vorsorge die Renten der Alten mitfinanzieren.
Publiziert: 14.12.2019 um 17:26 Uhr
|
Aktualisiert: 13.03.2021 um 14:25 Uhr
Claude Chatelain, SonntagsBlick-Kolumnist.
Foto: Paul Seewer
Claude Chatelain

«Nicht im Sinne des Gesetzgebers». Dieser Satz ist im Zusammenhang mit der zweiten Säule wiederholt zu hören.

Im Sinne des Gesetzgebers wäre das Kapitaldeckungsverfahren. Im Unterschied zum Umlageverfahren der AHV, der ersten Säule, sollten die Renten in der zweiten Säule durch die Versicherten selber finanziert werden – und zwar mit Lohnabzügen der Erwerbstätigen und deren Arbeitgebern.

Doch dieses Kapitaldeckungsverfahren funktioniert längst nicht mehr. Schon seit Jahren müssen die Erwerbstätigen nicht nur in der ersten Säule, sondern auch in der beruflichen Vorsorge die Renten der Alten mitfinanzieren. Schätzungen sprechen von sechs bis sieben Milliarden Franken, die jährlich auf diese Weise umverteilt werden.

Der Grund ist simpel: Das während der Berufsjahre angesparte Kapital reicht nicht aus, um die versprochenen Renten bis ans Lebensende auszuzahlen. Ursache ist die steigende Lebenserwartung. Um diese abzufedern, müsste der Umwandlungssatz gesenkt werden. Etliche Bemühungen in diese Richtung scheiterten an der Urne.

Nun nimmt Sozialminister Alain Berset einen neuen Anlauf: Am Freitag erklärte er, den Mindestumwandlungssatz von 6,8 auf 6 Prozent senken zu wollen. Auf 100'000 Franken gäbe es statt 6800 nur noch 6000 Franken Rente pro Jahr. Versicherungsmathematisch sind aber auch diese sechs Prozent zu hoch. Der Pensionskassenverband Asip sähe lieber eine Senkung auf 5,8 Prozent. Um ein reines Kapitaldeckungsverfahren zu gewährleisten, müsste er aber auf fünf Prozent fallen.

Die vorgesehene Senkung des Umwandlungssatzes soll im Wesentlichen mit höheren Beiträgen kompensiert werden. Das ist im Grundsatz unbestritten. Höchst kontrovers ist jedoch der Rentenzuschlag für die Übergangsgeneration. Er beträgt unabhängig der Rentenhöhe 100 bis 200 Franken pro Monat. Finanziert wird er mit Lohnbeiträgen von 0,5 Prozent. Zu Recht sprechen Gegner dieses Entwurfs von einer «Mini-AHV».

Nach dem Scheitern der Altersreform 2020 hatte der Bundesrat die Sozialpartner dazu aufgerufen, sich innerhalb eines Jahres auf einen Kompromiss zu einigen. Der am Freitag publizierte Vernehmlassungsvorschlag entspricht exakt dem vom Arbeitgeberverband und den Gewerkschaften in zähen Verhandlungen ausgeheckten Kompromiss. Der Gewerbeverband hingegen distanziert sich davon.

Wie immer die berufliche Vorsorge revidiert wird: Es wird auch in Zukunft in der zweiten Säule eine gewisse Umverteilung von Jung zu Alt und von Reich zu weniger Reich geben. Zu hoffen ist, dass die Umverteilung weniger krass ausfällt als heute. Ein reines Kapitaldeckungsverfahren, wie es die Gründer vorsahen, ist politisch chancenlos.

Der eingangs zitierte Satz sollte demnach folgendermassen umformuliert werden: «Nicht im Sinne der früheren Gesetzgeber, durchaus aber im Sinne der heutigen.»


Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?