Es brennt Licht in der Waschküche. Ich husche vorbei, ich will und soll ja auch niemanden sehen. Als ich beim Lift stehe, kommt Fatima aus der Tür. Fatima ist meine Nachbarin aus dem dritten Stock. Ich habe sie gern, wir reden immer, wenn wir uns sehen. Sie kommt aus Bosnien und arbeitet als Kosmetikerin. Sie ist etwas über 60, hat blondiertes Haar, dunkel tätowierte Augenbrauen und macht mir immer Komplimente, fragt, wie es mir und wie es dem Kleinen meiner Schwester geht. «Er ist soooo süss», sagt sie dann.
Jetzt steht sie in einer hellblauen Tunika, einer weissen Hose und Schlappen mit Strasssteinen drauf vor mir und fragt, wie es mir geht. «Gut, gut», sage ich kurz angebunden. «Und dir?», frage ich zugegeben nur aus Höflichkeit. Ich bin mit den Gedanken woanders, dann höre ich, wie Fatima flüstert: «Mir geht es nicht gut.» Ich bin nicht mehr sicher, ob ich sie überhaupt fragte, aber sicher, dass sie reden will. Ich schaue sie an. Ihre Augen sind ganz klein. Ihr Blick ausdruckslos.
«Meine Schwester ist gestorben.» Der Lift, den ich rief, geht jetzt auf, und das Licht scheint grell in den Flur. «Oh nein», stammle ich. Sie erzählte mir das letzte Mal, oder vielleicht auch vorletzte Mal, dass ihre Schwester Krebs hat. «Ich bin so traurig», sagt die Frau, die sonst so positiv ist. «Wann ist sie gestorben?», frage ich. «Vor drei Tagen.» Gebärmutterhals- und Eierstockkrebs. Der Krebs habe gestreut. «Ich habe Tabletten genommen. Sonst halte ich das nicht aus.» Jetzt schlafe sie nur. «Wann ist die Beerdigung?» – «Morgen», sagt Fatima. «Aber wir können nicht hin.» Sie kommen nicht nach Bosnien. Die Grenzen sind zu, es gibt keine Flüge mehr. Dort müssten sie sofort in Quarantäne. Sie seien schon auf der Botschaft gewesen.
«Sie war meine Lieblingsschwester. Wir waren so», sagt Fatima und überkreuzt ihre Finger. «Ist aber jemand da? In Bosnien?», frage ich. Die älteste Schwester. Schlimm sei es für ihre zwei Töchter. «Aber die sind morgen an der Beerdigung?», frage ich. «Nein.» Eine lebt in Deutschland, eine in Italien. Auch sie können nicht an die Beerdigung ihrer Mutter. «Die ältere», sagt Fatima, «will gar nicht wahrhaben, dass ihre Mutter nicht mehr ist.» Ich sage ihr, dass es mir leid tut und dass ich sie gerne umarmen würde. Warum habe ich sie nicht gedrückt? Diese starke Frau, die jetzt im Türrahmen lehnt und sich nur so auf den Beinen hält.
«Du musst schlafen, Fatima, dann hast du keine Schmerzen.» Sie solle jetzt nicht waschen. Fatima wascht immer. Ihre weissen Hosen und Blusen. Ihre Arbeitskleidung als Kosmetikerin. Aber das Geschäft ist zu. «Ich bin den ganzen Tag zu Hause und kann nur weinen», sagt Fatima. «Geh morgen eine Runde laufen, du musst mal raus», sage ich. Ja, gleich morgen früh gehe sie mit ihrem Mann auf eine grosse Runde. «Ach Fatima, ich denke ganz fest an dich und zünde jetzt eine Kerze für deine Schwester an.» Sie bedankt sich und drückt die Türfalle der Waschküche auf. Ihre Wäsche ist fertig.