Seine Haare sind schwarz, seine Ohren gross, seine Backen rot von der Novemberkälte und sein Schulranzen fast so gross wie er selbst. Es ist 14 Uhr und er höchstens zwölf Jahre alt.
Er sitzt am Fenster und schaut auf sein Smartphone. Ich sitze neben ihm und schaue auf sein Smartphone. Ich lese meistens mit, wenn jemand im Tram neben mir am Handy ist. Noch besser geht das, wenn die Person vor einem sitzt. Sie kriegt dann nämlich kaum was mit.
Der Junge tippt eine Nachricht. Ich schaue immer wieder weg, um meine Unverschämtheit zu tarnen. Er schreibt: «Hallo XY» (ein Frauenname, ich nenne ihn nicht, weil er nichts zur Sache tut). «Es ist schon eine Weile her, als wir uns das letzte Mal sahen. (Oh, er kann sich gut ausdrücken.) In der letzten Zeit ist viel passiert. (Sorry, ich glaube nicht, dass es jemanden gibt, der da nicht weiterlesen würde.) ‹Kätterli› ist nun (Oh Gott, spricht er von seiner verstorbenen Katze?) im Pflegezentrum. (Ah, nein) Die Zeit ist sehr stressig für mich, ich hoffe, dass sich bald alles normalisieren wird. (Oh mein Gott, der arme Junge hat schon derart Grosses auf seinem kleinen Herzen.) Es wäre schön, wenn wir uns dann wieder einmal sehen würden.» (Wem schreibt er das? Einer Brieffreundin? Einem Mädchen, das ihm einmal gefiel?)
Ich halte es fast nicht aus. Die Neugier! Aber insbesondere das Mitgefühl für diesen kleinen Jungen mit seinen roten Backen hat mich vollends durchdrungen. Mist, meine Haltestelle kommt. Er tippt jetzt: «Dein Enkel Max*» (Oh mein Gott, er schreibt seiner Oma!) Ich starre ihn an. Er sagt: «Entschuldigung, ich muss aussteigen.» Ich sage: «Ich auch.» Draussen beobachte ich ihn noch eine Weile. Er zieht sich seine Mütze über, schlendert hin und her und holt wieder das Handy aus der Tasche. Zu gerne möchte ich wissen: Was ist passiert? Warum sehen sie sich kaum? Und wer ist «Kätterli»? Aber es geht mich nichts an.
Jetzt erzähle ich Ihnen von dieser Geschichte und ärgere mich, dass ich nicht zu ihm bin und fragte: «Max, kann ich etwas für dich tun? Sollen wir zu deiner Oma fahren?»
* Max heisst nicht Max. Aber sein richtiger Name – der übrigens sehr schön ist – soll hier nicht stehen.