Beim Stichwort Klimawandel denken die meisten von uns an Weltuntergang. Zwar braucht die Schweiz ein neues CO₂-Gesetz, damit ein solches apokalyptisches Zukunftsszenario eben möglichst nicht Wirklichkeit wird. Als Argument vor der Volksabstimmung vom 13. Juni jedoch eignen sich Endzeitvisionen nicht. Dürrekatastrophen im Mittelland, versunkene Pazifikinseln, Eisbären ohne Eis: alles sehr schlimm, aber jenseits unseres Vorstellungsvermögens. Und damit zu wenig fassbar im Vergleich zu den höheren Benzin- und Heizölpreisen, welche die Gegner der Vorlage in ihrer Kampagne so pointiert wie polemisch ins Feld führen.
Das Ja-Lager spielt darum nach einem Drehbuch, das Politiker in den USA und in der EU entwickelt haben. Dort bemüht man sich seit einiger Zeit, die Klimadiskussion als Debatte über Chancen zu führen. Man spricht vom «Green New Deal» und verspricht neue Arbeitsplätze in Wachstumsbranchen, namentlich in der Energie- und Bauwirtschaft.
Analog reden daher auch die Befürworter des Schweizer CO₂-Gesetzes kaum vom Klimawandel, dafür umso häufiger von höherer Wertschöpfung und Profitmöglichkeiten. Bei einem Ja, so heisst es beispielsweise in einer Studie, die das Bundesamt für Umwelt in Auftrag gegeben hat, winken in den kommenden Jahren 7000 zusätzliche Stellen im Cleantech-Sektor.
Das sind natürlich schöne Aussichten. Für alle Stimmbürger freilich, die nicht bereits in diesem Bereich tätig sind, klingt «Cleantech» irgendwie klinisch – es lässt sie kalt. So gut gemeint es sein mag: Das ökonomische Argument fürs neue CO₂-Gesetz kommt letzten Endes ebenfalls reichlich abstrakt daher.
Und so sieht es drei Wochen vor dem Urnengang nicht gut aus für das CO₂-Gesetz. Die jüngsten Umfragen deuten auf ein Nein hin. Je abstrakter die Befürworter bleiben, desto konkreter ist nun die Gefahr, dass eine Mehrheit der Stimmbürger ihren Kindern und Enkelkindern den Stinkefinger zeigt.
Seit 1864 werden in der Schweiz Wetterdaten systematisch erfasst. Die fünf heissesten dieser insgesamt 156 Jahre waren, in absteigender Reihenfolge: 2018, 2020, 2015, 2011, 2014. Im Sommer 2019 überstieg die Temperatur an 21 Tagen 30 Grad. Das sind so viele Hitzetage wie in den gesamten 1960er-Jahren. Im Mittel ist es heute zwei Grad wärmer als zu Beginn der Aufzeichnungen.
In den letzten 20 Jahren ist fast ein Viertel des Eisvolumens in den Alpen abgetaut. Der Pizolgletscher im Kanton St. Gallen wird neuerdings nicht mehr vermessen, weil es dort nichts mehr zu messen gibt.
Der Klimawandel ist kein apokalyptisches Zukunftsszenario, keine abstrakte, unabsehbare Dystopie – der Klimawandel ist sehr real. Und wir stecken mittendrin.
Das sollte als Argument für ein Ja am 13. Juni eigentlich konkret genug sein.