Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Rettet den Sozialstaat!

Jahrzehntelang galt in den USA der Grundsatz: Geht es der Wirtschaft gut, braucht es keinen Sozialstaat. In der Corona-Krise muss diese Doktrin nun aber ein für alle Mal bankrott anmelden.
Publiziert: 10.10.2020 um 23:54 Uhr
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Im Herbst 1970 veröffentlichte ein Ökonom aus Chicago einen Zeitungsartikel mit dem Titel: «Die soziale Verantwortung von Unternehmen besteht darin, den Gewinn zu steigern.» Selten hat ein Professor die Politik derart ­unmittelbar ­und nachhaltig beeinflusst. Die Ansichten des ­späteren Nobelpreisträgers Milton Friedman wurden zum Programm eines Landes, welches der Wirtschaft freie Bahn lässt: der USA.

Das Weltbild von Milton Friedman und seinen Gefolgsleuten sieht so aus: Je besser es den Firmen und den Reichen geht und je weniger Steuern sie zahlen müssen, desto mehr investieren respektive konsumieren sie. Auf diese Weise fällt ein Teil ihrer ­Gewinne für die
unteren Gesellschaftsschichten ab – und alle sind glücklich. Einen Sozialstaat braucht es nicht.

Donald Trump ist ein besonders eifriger Anhänger dieser Doktrin. Der US-Präsident bescherte Reichen und Firmen die grössten Steuererleichterungen in der Geschichte des Landes.

Im Herbst 2020 meldet diese Politik nun aber Bankrott an. Covid-19 hat in den USA 210'000 Menschen getötet. Millionen versinken im Elend. Sie haben ihre Arbeit ver­loren, kein soziales Netz fängt sie und ihre Familien auf.

Als Covid-Patient legte Trump diese Woche die bizarrsten Auftritte seiner Präsidentschaft hin. Seine Show war weder Folge des Fiebers noch der Medikamente. Auch war sie mehr als bloss eine weitere Wahlkampfeinlage. Die Corona-Show von Donald Trump war ein Symbol für den Zustand seines Landes: Amerika ­erlebt derzeit so viel Leid – der oberste ­Verantwortliche kann darauf nur mit Parolen des Wahnsinns antworten.

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Selbstverständlich ist die soziale Krise eine Herausforderung nicht allein für die USA. Auch
die Schweiz und andere Länder ­stehen vor der Frage, wie sich ein anständiger Sozialstaat
finanzieren lässt.

Am Mittwoch veröffentlichte die UBS ihren «Milliardärs-Report». Dank steigender Aktienkurse ist das Vermögen der Reichsten ­dieser Welt trotz Corona-Krise gewachsen. Ende Juli besassen 2189 Mil­liar­däre ein Gesamtvermögen von über zehn Billionen US-Dollar.

Eine massive Besteuerung dieser Gewinne ist nicht nur nötig, sondern ebenso gerechtfertigt. Denn an den Börsen herrscht dieses seltsame Hoch nur, weil die ­Notenbanken ungeheure Geldsummen in die Märkte pumpen. Mit anderen Worten: Es sind die Staaten, welche die Profite überhaupt erst möglich machen.

Zugleich beschleunigt die Corona-Krise die globale Digitalisierung der Wirtschaft. Doch der nationale Fiskus richtet sein Augenmerk nach wie vor auf die analoge Welt von gestern. Eine Reform des Steuersystems ist überfällig.

Besonders vielversprechend hört sich das Projekt einer Roboter­steuer an. So könnte die Leistung eines Rechners mit einem hypothetischen Lohn veranschlagt werden, dieser Lohn würde dann besteuert.

Diesen Ansatz zu verwirklichen, klingt vielleicht auf den ersten Blick kompliziert. Tatsächlich aber stellt die Beratungsfirma KPMG in einer Studie fest, ein solches System liesse sich bis 2024 einführen – also in gut drei Jahren. Überhaupt wird das Projekt nicht etwa von versponnenen Technikfeinden ­vorangetrieben. Der prononcierteste Befürworter einer Robotersteuer ist Bill Gates, Gründer des Software-Unternehmens Micro­soft und der bekannteste US-­Amerikaner nach Donald Trump.

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