Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Natürlich steigen da die Gesundheitskosten!

Früher galten Spitäler als Orte, wo Patienten gepflegt werden. Dann kam ein amerikanischer Wirtschaftsingenieur auf die Idee, das Krankenhaus zur Fabrik zu degradieren. Die Folgen sehen wir heute: steigende Gesundheitskosten.
Publiziert: 04.08.2019 um 14:33 Uhr
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Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Paul Seewer
Gieri Cavelty

Wir alle stöhnen über die Kosten im Gesundheitswesen. Wundern muss sich freilich niemand. Die Berechnungsgrundlagen dafür, wie viel eine medizinische Behandlung kostet, heissen Tarmed und DRG. Letzteres ist die Abkürzung für «Diagnosis Related Groups», zu Deutsch: diagnosebezogene Gruppen.

Ein Wort wie Pestilenz!

Glaubt jemand ernsthaft, dass bei sprachlichen Ungetümen wie diesem etwas Gutes herausschaut?

Erfunden hat das DRG-Konzept der amerikanische Wirtschaftsingenieur Robert B. Fetter. Ende der 1960er-Jahre erklärte er das Krankenhaus zur Fabrik. Wie am Fliessband, so sein Gedankengang, würden auch im Spital die einzelnen Komponenten nach und nach zu einem Endprodukt zusammengefügt.

Bis dahin galten Spitäler als Orte, wo Patienten gepflegt werden und Ärzte ihre Heilkunst praktizieren. Weshalb verfiel Robert B. Fetter auf die irre Idee, das Krankenhaus zur Fabrik zu degradieren?

Mit seiner Methode liessen sich medizinische Leistungen standardisieren. Wenn eine bestimmte Schraube beim Auto stets gleich viel kostet, sollte auch ein bestimmter medizinischer Eingriff immer denselben Preis haben. Gewiss ist eine Blinddarmoperation teurer als ein Blick in den Rachen – sie besteht ja aus mehr Komponenten. Doch kein Unterbauch-Eingriff sollte mehr kosten als der andere.

Mit Robert B. Fetter kam das Managementdenken in die Medizin. Von den USA griff dieses Virus allmählich auf andere Länder über. In der Schweiz gilt der «SwissDRG» für stationäre Behandlungen im Krankenhaus seit 2012. Schon ein paar Jahre früher war für ambulante Dienstleistungen auch ausserhalb der Spitäler das Tarifsystem Tarmed eingeführt worden, das ebenfalls nach der Logik von Fliessband und gleich teurer Schraube funktioniert.

In der aktuellen Ausgabe des SonntagsBlick beschreibt mein Kollege Danny Schlumpf eine eklatante Schwäche dieses Prinzips. Benötigt der Erkrankte mehr Aufwand als vom Tarifsystem vorgesehen, rechnet sich das Ganze nicht. Betroffen sind vor allem Kinder und alte Menschen. Diesen besonders schwachen Patienten wird darum oftmals nicht die richtige Behandlung zuteil, sondern die vermeintlich günstigste.

Die bittere Pointe ist, dass die Vorherrschaft betriebswirtschaftlichen Denkens in der Medizin nicht nur einzelnen Patienten schadet. Nein, das System ist auch aus finanzieller Sicht ein Fiasko.

Die Politik hat DRG und Tarmed eingeführt, um die Gesundheitskosten in den Griff zu kriegen. Tatsächlich aber bewirkt die Gleichsetzung des Spitals mit einer Fabrik das Gegenteil.

Ein betriebswirtschaftlich denkender Arzt hat automatisch weniger das Wohl des Patienten im Auge als den eigenen Gewinn. Dem Patienten seinerseits wird eingeimpft, Gesundheit sei nichts weiter als ein Konsumgut. Gesund ist oder wird, wer möglichst viel konsumiert. Also konsumieren wir alle tüchtig, der Gesundheitsmarkt wächst und wächst – und mit ihm die Kosten.

Operation gelungen, Patient tot.

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