Der Roman der Stunde wurde bereits vor 178 Jahren veröffentlicht. Er handelt von Impfverweigerern und davon, wie sich der eine oder andere von ihnen allenfalls doch für die Schulmedizin gewinnen lässt.
Jeremias Gotthelf begann seinen Roman «Wie Anne Bäbi Jowäger haushaltet und wie es ihm mit dem Doktern geht» als eine Auftragsarbeit für den Kanton Bern. Der Regierungsrat hatte beim Emmentaler Schriftsteller und Pfarrer eine Kurzgeschichte bestellt, um die Landbevölkerung unter anderem von der Pockenimpfung zu überzeugen. Das Projekt wuchs allerdings rasch zu einem zweibändigen Roman heran. Auch inhaltlich entsprach das Werk nicht in allen Punkten den Vorstellungen der hohen Herren in der Stadt – dafür kannte Gotthelf die Menschen im Bernbiet einfach zu gut. Er wirbt zwar mit Verve für die Errungenschaften der ärztlichen Wissenschaft, allerdings nicht immer auf die Art, wie man es von ihm erwartet hatte.
Der arme Jakobli ist an Pocken erkrankt. Seine Eltern hatten ihn nicht impfen lassen. «Es ist nicht der Brauch gewesen in unserem Haus», rechtfertigt sich Vater Hansli Jowäger, ein reicher, phlegmatischer Bauer. «Und do hey mer gmeint, es werd öppe nit nötig sy. Und es wäre schrecklich, wenn wir das arme Kind so unnötig plagen würden und es krank machten für nüt und wieder nüt.»
Der Dorfpfarrer hört sich das geduldig an, es entspannt sich eine angeregte Diskussion für und wider das Impfen. Der Pfarrer sagt: «Der liebe Gott hat den Impfstoff gegeben; und wenn der liebe Gott nicht gewollt hätte, dass man ihn brauche, so hätte er ihn nicht geschaffen.» Am Ende des Gesprächs sagt Hansli Jowäger: «Ja, ja, Herr Pfarrer, jetzt begreife ich es.»
Unsere Gesundheitsbehörden sollten den alten Gotthelf noch einmal zur Hand nehmen. Man kann daraus lernen: Hat einer wirkliche Vorbehalte gegen das Impfen, kann ihn höchstens eine Vertrauensperson umstimmen. Jemand, der sich die Zeit nimmt, auf sein Gegenüber einzugehen.
Die Impfkampagne stockt, insbesondere im ländlichen Raum. Heute sind es vermutlich weniger die Pfarrer, die positiv auf Impfskeptiker einwirken können. Eine zentrale Bedeutung müsste in der aktuellen Phase den Hausärzten zukommen. Doch gerade sie spielen in der Impfstrategie von Bund und Kantonen bis anhin so gut wie keine Rolle. Schlimmer noch: Engagierte Hausärzte werden von den Behörden regelrecht ausgebremst.
Überhaupt ist es ums Verhältnis zwischen dem BAG und der Ärzteschaft schlecht bestellt. Das Bundesamt liegt seit Jahren im Streit mit der FMH, der Dachorganisation der Ärztinnen und Ärzte. Es geht darum, wie viel Honorar die Mediziner für welche Leistungen verlangen dürfen. Der Streit belastet auch die Zusammenarbeit in der Pandemie. So kommt es, dass der Bund mit den Kantonen in einem engen Austausch steht, mit den Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden – nicht aber mit der FMH.
Pandemiebekämpfung ohne Ärzte – es wäre zum Lachen, wenns nicht derart traurig wäre. Selbstverständlich wird sich ein hartgesottener Impfhasser von niemandem helfen lassen. Eine bessere Einbindung der Hausärzte jedoch dürfte die Impfquote bestimmt um zehn Prozent steigern. Und das Leid im Land entsprechend verringern.
Jakobli Jowäger übrigens kommt bei Gotthelf noch einmal mit dem Leben davon. Er verliert aber ein Auge, sein Gesicht bleibt von Narben entstellt. Die letzte Pockenepidemie in der Schweiz ereignete sich genau vor 100 Jahren. Seit 1980 gilt die Krankheit weltweit als ausgerottet.
Der Impfung sei Dank.