Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Dem verantwortlichen SP-Bundesrat sind die IV-Opfer egal

In der IV herrschen eklatante Missstände. Der zuständige SP-Bundesrat Alain Berset kümmert sich aber nicht um das Thema. Kein Wunder, dass die Sozialdemokratie da bei den Wählern nicht mehr ankommt.
Publiziert: 16.11.2019 um 23:27 Uhr
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Aktualisiert: 17.11.2019 um 08:58 Uhr
Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick
Foto: Paul Seewer

Der Autor fragt: «Geht der Wählerrückgang unaufhaltsam weiter, ist das Ende der Sozialdemokratie vorprogrammiert?» Und: «Haben Gewerkschafter in den Wahlen überhaupt noch Chancen?»

Jeder Sozialdemokrat könnte diese Fragen im letzten Monat gestellt haben. Tatsächlich aber stammen sie aus dem Jahr 1988. Nach schweren Verlusten bei den Wahlen im Jahr zuvor rang die damalige Parteispitze in einem Buch um die «Perspektiven der SP im 21. Jahrhundert». Das Ergebnis war, wie einer der Verfasser selbst anmerkte, bunt gemischt: «So viele SP-Meinungen wie SP-Mitglieder.»

Es ist fürs Erste dann trotzdem noch einmal gut gegangen für die Partei. In den 1990er-Jahren profilierte sie sich als weltoffene Kraft – und legte mächtig zu. Höhepunkt waren die Wahlen 2003. Fast jeder Vierte gab seine Stimme den Sozialdemokraten.

Weltoffenheit wäre für die SP auch heute der Schlüssel zum Erfolg. Zu dieser Erkenntnis jedenfalls kommt der Zürcher Politwissenschaftler Tarik Abou-Chadi in einer kürzlich publizierten Studie. Anders als in den 1990ern ist Weltoffenheit heute aber nicht gratis zu haben. Die EU ist kein linker Sehnsuchtsort mehr. Gerade für den Gewerkschaftsflügel ist sie vielmehr ein Agent des Klassenfeindes.

Zwar wird sich die SP nach der Wahlniederlage vom 20. Oktober von den Gewerkschaften stärker abgrenzen – zum Bruch indes wird es nicht kommen.

Und so werden dieser Tage eben wieder ganz viele weitere Rezepte für eine Perspektive der SP im 21. Jahrhundert herumgeboten. Für die Juso steht die SP zu rechts, die SP Frauen wollen einen stärkeren Fokus auf die Gleichstellung. Und National­rätin Jacqueline Badran spottete im letzten SonntagsBlick über die Debatte, «ob man den Mohrenkopf noch ‹Mohrenkopf› nennen darf».

So viele SP-Meinungen wie SP-Mitglieder.

Ebenfalls vor einer Woche haben wir einen Skandal publik gemacht: Die Invalidenversicherung heuert wendige Ärzte als Gutachter an, um abzuklären, ob jemand Anspruch auf eine IV-Rente hat. Für viel Geld stempeln diese Mediziner kranke Menschen zu Simulanten.

In den letzten Tagen erreichten uns unzählige Zuschriften von Menschen, die sich von der IV betrogen, drangsaliert und gedemütigt fühlen. Sie berichten von jahrelangen Bittgängen und allen nur erdenklichen Schikanen. Sie berichten von gezinkten Gutachten und davon, wie sie irgendwann jeden Lebensmut verloren haben.

Man kann es nicht anders sagen: In der Schweiz herrschen sehr viel Frustration und noch mehr Verzweiflung wegen der IV.

In der aktuellen Ausgabe des SonntagsBlick vertiefen wir das Thema darum weiter. Auch hätten wir gerne den verantwortlichen Bundesrat zu den Missständen bei der IV befragt. Doch Alain Berset mag sich nicht äussern. Er lässt ausrichten, diese Frage stehe aktuell nicht auf der politischen Agenda.

Nun ist Alain Berset nicht irgendein Bundesrat. Als Sozialdemokrat ist er Mitglied jener Par­tei, die sich den Kampf für die Schwachen auf die Fahne geschrieben hat. Offenbar klafft ein eklatanter Widerspruch zwischen Werbung und Wirklichkeit, zwischen SP-Elite und den weniger privilegierten Menschen in diesem Land.

Vielleicht ist ja auch dies ein Grund für die Krise der SP.

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