Natürlich darf es jetzt nur ein Ziel geben: die massenhafte Ansteckung von Senioren und gesundheitlich angeschlagenen Menschen mit dem Coronavirus zu verhindern. Die Fragen nach den politischen Folgen der Pandemie müssen dennoch rechtzeitig gestellt werden.
In der Krise sehnen sich viele nach einer starken Führung. Das zeigt sich, wenn die «NZZ» über Italiens Ministerpräsidenten schreibt: «Giuseppe Conte hat in der Krise meist kühlen Kopf bewahrt und in der öffentlichen Wahrnehmung an Statur gewonnen.» Das zeigt sich, wenn die «Augsburger Allgemeine» über den deutschen Gesundheitsminister schreibt: «Jens Spahn überzeugt als Krisenmanager.» Vor allem jedoch zeigt sich das im hohen Zuspruch, den der Bundesrat laut unserer Umfrage von letzter Woche derzeit geniesst.
Die Gefahr an dieser neuen Staatsgläubigkeit: Was die Regierungen bisher in der Prävention vernachlässigt haben, indem sie das öffentliche Gesundheitswesen schleifen liessen, versuchen sie heute in der Repression wiedergutzumachen. Statt in Für- und Vorsorge investieren sie in Abschottung und Ausgrenzung.
Neben zweckmässigen, unentbehrlichen Massnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 gibt es solche mit primär symbolischem Charakter. Die nun überall beschlossenen Grenzschliessungen gehören doch eher zu dieser Kategorie des politischen Placebos. Auch die Schweiz macht da mit: Sie verweigert Asylsuchenden die Einreise aus Italien. Dabei ist es gerade das Bild der heruntergelassenen Zollschranke, das sich mitunter am stärksten in unseren Köpfen festsetzt.
Wie also wirkt sich die Corona-Krise längerfristig aus? Einen Hinweis, wie nachhaltig das Virus die Schweizer Politik infiziert hat, wird uns der 17. Mai geben. An jenem Sonntag stimmen wir über die Volksinitiative zur Abschaffung der Personenfreizügigkeit mit der EU ab.
Das Wort der Stunde lautet «Ausnahmezustand». Seit Anfang Monat ist der Begriff in den Deutschschweizer Medien über 600-mal aufgetaucht. Wer aber «Ausnahmezustand» sagt, sollte an Carl Schmitt (1888–1985) denken. Der deutsche Staatsrechtler wird von jenen zitiert, die sich für eine Staatsform mit einer möglichst starken Regierung und einem schwachen Parlament aussprechen. In der Tat gibt es heute wieder mehr und mehr Intellektuelle, die sich auf ihn berufen. «Ausnahmezustand» ist das Schlüsselwort in Schmitts Argumentation. Sein bekanntester Satz lautet: «Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.»
Carl Schmitt war aber nicht irgendein einflussreicher Jurist. Er war ein geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus, später dann selbst Mitglied der NSDAP und Inhaber hoher Ämter in Nazi-Deutschland.
Sein Wirken zeigt, wohin der Ausnahmezustand führen kann.