Editorial
Die «Digitale Genfer Konvention» ist eine historische Chance

Publiziert: 20.05.2017 um 23:53 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:09 Uhr
Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick
Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick
Foto: Shane Wilkinson

Liebe Leserin, lieber Leser

Im Silicon Valley gelten Gesetze bloss als lästige Hindernisse bei der wirtschaftlichen Selbstentfaltung. Und schon gar nicht gekümmert hat sich die digitale Branche bislang um Staaten und Landesgrenzen. Der Fahrdienst Uber macht sich einen Sport daraus, jeden Paragrafen des Arbeitsrechts einzeln plattzufahren. Apple betreibt die Steueroptimierung mit immer raffinierterer Meisterschaft. Und als der Konzern dem FBI bei der Aufklärung eines Terroranschlags helfen sollte, weigerte er sich, das iPhone des Attentäters zu entschlüsseln.

Diese Haltung ist arrogant und naiv. Computer und Internet haben staatliche Wurzeln: in der akademischen ebenso wie in der militärischen Forschung. Und als kriegführende Ak­teure sind die Staaten aus dem Cyberspace – leider! – nicht wegzudenken. Das dämmert inzwischen auch den IT-Ikonen. So kommt es, dass das Technologieunternehmen Microsoft die Regierungen dieser Welt dazu auffordert, sich für das digitale Schlachtfeld auf ein paar Grundregeln zu einigen. Microsoft ruft nach einer «Digitalen Genfer Konvention» und meint damit den Schutz ziviler Infrastruktur im globalen Cyberwar.

Die Entdeckung des Staates durch die digitale Branche weckt entfernte Erinnerungen an die Finanzkrise von 2008. Auch die scheinbar allmächtigen Banken hatten für den Staat nur Spott übrig – bis ihnen die hausgemachten Monster über den Kopf wuchsen und allein die Regierungen sie retten konnten. Der grosse Unterschied von heute zu damals ist natürlich: Im Cyberspace sind die Staaten selber die gefährlichsten Protagonisten. Einfach von aller Verantwortung lossagen können sich die privaten Unternehmen gleichwohl nicht. Dies zeigt das Beispiel von «WannaCry», jener Schadsoftware, die vor Wochenfrist weltweit einen Millionenschaden angerichtet hat. «WannaCry» mag von Nordkorea kreiert worden sein – die Ursache des Virus freilich liegt in einer Sicherheitslücke bei Microsoft.

Wie dem auch sei: Es braucht eine Digitale Genfer Konvention! Bereits macht die Angst vor einem globalen Blackout die Runde. Wie nötig eine internationale Übereinkunft ist, das zeigt sich gerade darin, auf welchen Widerwillen die Forderung bei den Grossmächten stösst. USA, Russland, China – alle wollen sie ungehindert in den digitalen Krieg ziehen, ungeachtet des möglichen Schadens für Sie und mich.

Entsprechend offensiv muss sich die Schweiz jetzt in die Diskussion einbringen! Die Schweiz hat die besten Voraussetzungen, um die Microsoft-Forderung nach einer Digitalen Genfer Konvention glaubwürdig auf die Ebene der Staaten zu hieven. Da ist ihre Geschichte als Land der guten Dienste. Und da ist ihre Gegenwart als Hotspot für Innovation und Technik.

Aussenminister Didier Burkhalter hat eine historische Chance. Eine Digitale Genfer Konvention kann den Krieg der Computer nicht verhindern. Der Schaden aber liesse sich minimieren. Und in jedem Fall kann Didier Burkhalter mit einem überzeugten Einsatz für ein solches Abkommen zeigen: Im digitalen Zeitalter ist nicht nur mit den Grossmächten weiter zu rechnen – auch der Kleinstaat Schweiz kann eine wichtige Rolle spielen, und zwar eine positive.

Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen
Gieri Cavelty

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