Editorial
Am Ende zählt nur das volle Sparschwein

Es stimmt: Wir Schweizer können von China lernen. Das ist für die offizielle Schweiz aber noch lange kein Grund, sich Peking derart anzubiedern, wie sie es derzeit tut.
Publiziert: 28.04.2019 um 00:02 Uhr
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

Wir Schweizer sind stolz auf unsere Demokratie. Dabei sind wir im Grunde nur Sonntagsdemokraten, genauer: Wahl- und Abstimmungssonntagsdemokraten. Werktags geben die meisten ihren Bürgerstolz brav an der Bürogarderobe ab und fügen sich in die starre Hierarchie der Arbeitswelt.

Dass es auch anders geht, zeigt ausgerechnet der chinesische Telekom-Ausrüster Huawei. Der Konzern gehört der Belegschaft. Alle fünf Jahre finden Wahlen statt. Und es kommt noch besser: Regiert wird Huawei von einer Art Bundesrat!

Konkret funktioniert das so: Die rund 100 000 Beschäftigten mit chinesischem Pass wählen 115 Repräsentanten. Diese bestimmen ihrerseits den siebenköpfigen Vorstand. Drei dieser Vorstandsmitglieder wechseln sich dann alle sechs Monate in der Funktion des CEO ab.

Gewiss hat auch dieses System Luft nach oben. So sind bloss acht der 115 Repräsentanten Frauen.

Und doch sind diese Chinesen im Büro offenbar die besseren Demokraten.

Man mag von der chinesischen Tech-Industrie halten, was man will. Gerade im Hinblick auf den 1. Mai kann uns das Beispiel Huawei zumindest die ­Augen dafür öffnen, dass unsere Arbeitswelt keineswegs so organisiert sein muss, wie sie es heute ist.

Das Ganze darf aber natürlich nicht darüber hinwegtäuschen: Der chinesische Staat ist eine grausame Diktatur! Tausende Menschen wurden dort im letzten Jahr hingerichtet, mehr als in jedem anderen Land. Diese Woche erst wurden in Hongkong die Anführer der sogenannten Regenschirm-Bewegung ins Gefängnis gesteckt. Ihr Verbrechen: Sie forderten freie Wahlen.

Nun sind wir Schweizer aber nicht nur Sonntagsdemokraten, sondern auch Sonntagsrechtsstaatsbefürworter. Solange es sich mit China Geschäfte machen lässt, sind uns Demokratie wie Menschenrechte schnurz. In Sachen Zynismus macht uns so schnell keiner etwas vor.

Bundespräsident Ueli Maurer weilt derzeit im Reich der Mitte. Er weibelt für die Interessen der Schweizer Banken. Seine Kommunika­tionsabteilung veröffentlichte am Mittwoch den Schnappschuss eines gut gelaunten Ueli Maurer, der ein Transparent mit der Aufschrift «Zusammenarbeit» hochhält.

Wie sehr sich die Schweiz den dortigen Machthabern anbiedert, zeigt auch der offizielle Weibo-Kanal der Schweizer Botschaft in Peking. Weibo ist das Pendant zu dem in China blockierten Mikroblogging-Dienst Twitter. Unsere Diplomaten publizieren auf Weibo beinahe täglich Bilder von Schweizer Feriendestinationen. In den letzten Wochen gab es überdies Werbung für Fondue sowie einen Wettbewerb zum Thema Schweizer Würste.

Am 10. Dezember 2018 überkam die Schweizer Botschaft jedoch ein kurzer Anflug von Courage. Die Botschaft wollte auf Weibo ein Foto der Uno-Menschenrechts­charta aufschalten. Anlass war der 70. Jahrestag der Unterzeichnung dieses historischen Dokuments. Wer das Bild anklicken wollte, wurde indes enttäuscht. Statt der Menschenrechtserklärung poppte diese Mitteilung von Weibo auf: «Der Beitrag wurde vom Autor gelöscht, oder es gibt keine Erlaubnis, ihn anzusehen!»

Die Schweiz nahm diese brutale Zensur gelassen hin. Kurze Zeit später schaltete der offizielle Vertreter unseres Landes in Peking, Botschafter Bernardino Regazzoni, auf Weibo eine kurze Videobotschaft. Darin wünscht er allen Chinesen: ein volles Sparschwein.

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