Hand aufs Herz: Möchten Sie bei Ihrer persönlichen Gesundheitsversorgung Abstriche machen? Eben. In der Medizin kommt für jeden von uns nur ein Abstrich in Frage – jener zur Entnahme von Speichel. Und sei es nur eine ordinäre Erkältung, die einen plagt.
Wir alle bestehen ganz selbstverständlich und mit vollem Recht auf einer medizinischen Top-Betreuung. Bloss verwechseln wir Qualität oft mit Quantität. Der Durchschnittspatient erwartet von seinem Arzt, im Minimum eine Schachtel Tabletten verordnet zu bekommen, sonst hält er ihn für inkompetent. Und viele Ärzte entsprechen dieser Erwartung allzu gern. Untersuchungen zeigen, dass jedes dritte Medikament nur auf eine vage Vermutung hin verschrieben wird. Neun von zehn Patienten haben schon unbegründet eine Arznei eingenommen. Und vier von zehn Rentnern schlucken Medikamente, die für ältere Menschen ungeeignet sind.
Wohin das führt? In Basel lässt sich beobachten, dass vielleicht nicht die Bäume der Pharmaindustrie in den Himmel wachsen, wohl aber deren Bauten. Der Roche-Turm ist das höchste Gebäude der Schweiz, der zweite Roche-Tower wird ihn nach seiner Fertigstellung im Jahr 2021 dann noch überragen.
Jede Gesellschaft leistet sich seine eigenen Monumente, zeigt damit in Tonnen von Stein, wo ihr Gott hockt: Das alte Ägypten hatte die Pyramiden, das Mittelalter seine Kathedralen, und die Schweiz von heute huldigt eben der Pharma.
Keine Frage: Der Gott der Pillen kann sensationelle Erfolge verbuchen. In der Krebsbekämpfung etwa und im Bereich der Kardiologie werden wahre Wunder vollbracht. Den Menschen werden auf diese Weise kostbare Lebensjahre geschenkt.
Die Errungenschaften der Spitzenmedizin dürfen uns im Alltag aber nicht zu abergläubischen Konsumenten aller Arten von Arzneien machen. 175 Jahre ist es her, da veröffentlichte Jeremias Gotthelf seinen Roman «Wie Anne Bäbi Jowäger haushaltet und wie es ihm mit dem Doktern geht». Das Buch ist eine Abrechnung mit allen Quacksalbern und ein Plädoyer für eine aufgeklärte Medizin. Leider nur ist unser Verhältnis zu den Ärzten auch heute noch wesentlich geprägt vom magischen Denken der armen Anne Bäbi Jowäger.
Die Lektüre von Gotthelfs Roman ist zäh. Dagegen kann es sich lohnen, anstelle des nächsten gleichermassen überteuerten wie letztlich wirkungslosen Grippemittels das noch druckfrische Buch «Der betrogene Patient» zu kaufen. Geschrieben hat es der Radiologe Gerd Reuther. Schonungslos übt der Mediziner Kritik an seiner Zunft, beschreibt mitunter, wie fehleranfällig die «Schrotschussdiagnostik» vieler Ärzte ist. Das Buch liest sich streckenweise zwar sehr giftig, ist aber keine grundsätzliche Streitschrift gegen die Schulmedizin. Es heilt den Laien lediglich von übertriebenen Erwartungen.
Und natürlich ist es – leider! – so, dass auch der teure Gott der Pillen das ultimative Heils-versprechen jeder Religion nicht wird einlösen können: die Unsterblichkeit.