#aufbruch mit Patrizia Laeri
Revolution am Regal

Publiziert: 18.09.2019 um 08:03 Uhr
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Aktualisiert: 19.09.2019 um 10:35 Uhr
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Patrizia Laeri, SRF-Wirtschaftsredaktorin und -Moderatorin.
Foto: Thomas Buchwalder

Ich habe einen guten Freund, den sehe ich nicht oft. Er ist ständig unterwegs in Massenproduktionshallen. Die Geschäfte laufen gut beim Konsumgüter-Multi. Beim letzten Treffen schien er hingegen verändert. Was denn los sei, fragte ich. Yuka, sagte er. Yuka? Ja, der neue Feind der Hersteller heisst Yuka. Eine französische Gratis-App. Sie wurde bereits mehr als 10 Millionen Mal heruntergeladen. Die Konsumenten scannen damit täglich Millionen von Strichcodes. 

Das wollte ich ausprobieren: Handykamera auf den Code halten – es funktioniert auch kopfüber –, und die Ampel zeigt für jedes Produkt Farben zwischen Grün und Rot. Zwischen bekömmlich und ungesund. Daneben stehen Punkte. Glück gehabt: Mein Lieblingsjoghurt hat 63 von 100 Punkten. Es erhält grünes Licht. Für den Kinderknäckebrot-Snack gibts hingegen nur 39 Punkte, viel zu viel Salz und Kalorien. Hätte ich nicht gedacht. Yuka ist aber viel mehr als nur ein Kalorienzähler in Echtzeit. Ich sehe, dass mein Dessert voller Zusatzstoffe steckt. Die sogenannten E-Nummern leuchten auch von grün bis rot. Mein Dessert ist alarmrot. Alles ist einfach aufgeschlüsselt, und ich kann mich immer tiefer in Informationen klicken. Das System scheint ausgeklügelt. Es stützt sich auf europäische Richtwerte zur Ernährung, das Organic Label und misst Zusatzstoffe. Gleichzeitig schlägt mir die App gesündere Produkte vor. 

Alternativvorschläge? Stecken etwa andere kommerzielle Anbieter dahinter? Das Start-up garantiert, es sei unabhängig. Drei junge Franzosen lancierten die App erst 2017 und lösten damit in ihrem Land eine regelrechte Yuka-Manie aus. Sie verdienen ihr Geld mit einer Premium-Version für Konsumenten, die noch mehr wissen wollen. Die App gibt es mittlerweile für Belgien, Luxemburg, Spanien, England und seit diesem Jahr auch für die Schweiz. 

Ich bin mittlerweile im Badezimmer. Und scanne ein Männerdeo: nur 29 von 100 Punkten, krebserregend. Ich entsorge es. Ich prüfe die Zahnpasta, die ich seit zehn Jahren benutze: noch weniger Punkte, Mineralöle, krebserregend. Ich fühle im Mund einen schalen Geschmack. Und mir dämmert: Yuka ist Gift für die Kosmetik-Industrie.

Es gibt bereits eine unabhängige Studie darüber, was Menschen mit der App alles machen. Überraschenderweise nutzen vor allem Kinder gerne Yuka. Sie bekommen die Eltern-Handys und haben damit im Laden eine wichtige Aufgabe. Ganz reizvoll, sich vorzustellen, wie diese Kinderinspektoren die Konsumgütermultis kontrollieren. Die Kleinen zwingen die Grossen so in die Knie. Wer schlechte Produkte macht, wird entlarvt. Niemand muss mehr hilflos am Regal stehen.

Ich bin mittlerweile in den Kinderzimmern angelangt und scanne. Da steht eine Bodylotion, bedruckt mit zarten Pflänzchen und pastellfarbenen Sanftworten: für sensible Kinderhaut. Yuka entlarvt diese leeren Werbeversprechen: Die Werte sind vernichtend. Da drin sind schädliche Umwelthormone, Allergie auslösende und Haut irritierende Stoffe. Mir wird schlecht. Ich werde das nie mehr kaufen. Jetzt weiss ich, warum mein Bekannter plötzlich mehr Sorgenfalten hat. #aufbruch

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