Kolumne «Wild im Herzen»
Kuscheln, um zu überleben

Keine andere Affenart erträgt tiefere Temperaturen als die Goldstumpfnase. Die in der chinesischen Werbung allgegenwärtigen Tiere rücken eng zusammen, um der Kälte zu trotzen. Gegen die Übergriffe des Menschen hilft diese Taktik leider nicht.
Publiziert: 21.11.2019 um 23:02 Uhr
|
Aktualisiert: 22.11.2019 um 09:44 Uhr
Teilen
Anhören
Kommentieren
Simon Jäggi, Mitarbeiter Naturhistorisches Museum Bern.
Foto: Thomas Buchwalder
Simon Jäggi

In China kennen sie alle. Ihr herzergreifendes, blaues Antlitz ziert Verpackungen von Süssigkeiten und Waschmitteln. Aber wahrhaftig hat sie kaum jemand schon gesehen. Goldstumpfnasen gehören zur Gattung der Stumpfnasenaffen – und von vier der fünf Arten leben heute weniger als 1500 Exemplare. Damit zählen sie zu den gefährdetsten Primaten der Welt.

Zu den Primaten gehören 500 Arten – unter ihnen auch der Homo sapiens. Die Bezeichnung Primaten stammt übrigens vom Lateinischen «primus» (der Erste) und bezieht sich auf «Krone der Schöpfung».

Den Platz auf dem Thron beansprucht der Mensch aber bekanntlich für sich alleine. Auch die Stumpfnasen wurden jahrhundertelang gejagt. Der Hauptgrund für die Gefährdung ist aber der Verlust an Lebensräumen, wie beinahe bei allen bedrohten Arten. Natur, die noch Natur sein darf, gibt es fast nur noch in der Werbung – oder in Reservaten.

Sie haben einen noch berühmteren Nachbar

Diese Realität zeigt sich auch bei den Goldstumpfnasen. Ihr geschrumpftes Verbreitungsgebiet erstreckt sich über Schutzgebiete in vier chinesische Provinzen. Es handelt sich um eine endemische Art – Tiere oder Pflanzen, die nur in einem sehr begrenzten Gebiet vorkommen. Endemiten sind verletzlich: Verschwindet ihr Lebensraum, verschwinden auch sie.

Immerhin sind die letzten Rückzugsorte der Goldstumpfnasen nun geschützt. Dabei haben die Affen auch davon profitiert, dass sie ihren Lebensraum mit dem Grossen Panda teilen, der nicht nur in China eine Ikone darstellt.

BBC-Dok zeigt brillante Aufnahmen

Keine anderen Affen ertragen nämlich kältere Temperaturen als die Stumpfnasen. In den Gebirgswäldern zwischen 1200 und 3300 Metern über Meer können die goldbraunen Tiere nur überleben, weil sie Fachkräfte im Kuscheln sind. Die Haremsgruppe von neun bis 18 Mitgliedern rückt zu einem Klüngel zusammen, um tiefe Minus-Temperaturen zu meistern. Auch unterstützen sich die Weibchen gegenseitig beim Stillen, damit die Babys rascher wachsen und den ersten Winter überstehen.

In «Seven Worlds, One Planet» spielen die manchmal menschlich anmutenden Primaten eine Hauptrolle. Die neue BBC-Doku-Serie wartet mit brillanten Aufnahmen der letzten Flecken unberührter Natur auf, welche der selbst ernannte König von der Schöpfung noch übrig gelassen hat (nächste Folge diesen Sonntag, BBC One, 19.15 Uhr).

Simon Jäggi (39) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner.

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?