Kolumne «Wild im Herzen»
Aus die Maus

Unser Kolumnist hat eine Phobie vor Mäusen. Und auch einige gute Gründe dafür. Das hindert ihn nicht daran, sich heute den Nagern zu widmen.
Publiziert: 07.11.2019 um 23:34 Uhr
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Simon Jäggi, Mitarbeiter Naturhistorisches Museum Bern.
Foto: Thomas Buchwalder
Simon Jäggi

Der unscheinbare Sprung in der Glasscheibe meines Hühnerstalls erzählt eine kleine Geschichte meines persönlichen Grauens. Schuld daran sind Mäuse, genauer: Rötelmäuse. Und das ging so: Als ich einmal den Stall ausmistete, lugten zwei Knopfaugen aus einem Loch in der Wand. Eine Mäusefamilie hatte sich in der Isolation eingenistet.

Sie müssen wissen: Ich nenne eine Mäusephobie mein Eigen. Wenn ich Bilder betrachte, leuchtet es mir zwar ein, dass man sie süss finden kann. In natura schaudert es mich beim Anblick einer Maus (oder einer Ratte) aber am ganzen Körper.

Es gibt gute Gründe

Ich möchte die Irrationalität der Phobie nicht schönreden, aber Gründe dafür gäbe es durchaus: Rötelmäuse etwa sind nicht zu unterschätzende Krankheitsüberträger, vor allem in Bezug auf den Hantavirus. Infizieren kann man sich, wenn man in Kontakt mit Kot oder Urin kommt.

Im letzten Jahr stieg die Zahl der Hantavirus-Infektionen in Deutschland massiv an – was mit Bucheckern zu tun hatte. Wie das? Es gibt Jahre, da produzieren Buchen ungewöhnlich viele Nüsschen. Dies nennt man Buchenmast.

Der Anstieg der «Buechenüssli» lässt die Populationen von Rötelmäusen jeweils in die Höhe schiessen. Mit ihnen wächst oftmals auch die Zahl der Fressfeinde: So wurde etwa beobachtet, dass im Jura nach einer Buchenmast die Zahl der Rauhfusskäuze angestiegen ist.

Die Maus als Schmaus

Auch wenn ich sie nie lieben werde: Die Bedeutung der Rötelmaus im Kreislauf der Natur ist unbestritten. Für eine Menge Tiere stellt sie eine wichtige Nahrungsquelle dar, etwa für Wildkatzen oder Iltisse. Die Rötelmaus, die eigentlich eher Wälder als Siedlungsgebiete bewohnt, findet sich in grossen Teilen Europas. Einige Quellen nennen sie sogar das häufigste Säugetier Mitteleuropas. Und doch kennen sie nur wenige bei ihrem Artnamen – daher passt sie gut in die Serie «Anonyme Anwohner», die hier nun mit der fünften Tierart endet.

Was mit der Glasscheibe war? Um die Mäuse zu vertreiben, schlug ich mit einer Schaufel gegen die Wand, dabei flüchteten die Mäuse in hohen Sprüngen aus dem Loch. Mir entgegen. Ich erschrak derart, dass ich fluchtartig das Weite suchte und dabei irgendwie mit der Schaufel das Fenster zerdepperte. Wahrlich keine Heldentat, aber immerhin keine Viren aufgelesen – Phobien haben auch ihre guten Seiten.

Simon Jäggi (39) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK.

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