Ich lebe doch nun schon lange genug im Zentrum der politischen Korrektheit, um zu wissen, wie schnell man sich hier ins Fettnäpfchen setzt. Vor allem, wenn es um Tiere geht. Warum musste ich mich auch über unsere Katzen beschweren? Nun, die Frau, ich glaube, sie hiess Cindy, hatte nach ihnen gefragt. Oder wenigstens hatte ich das im Partygewühl so verstanden. «Ständig stehlen sie Essen», hatte ich gesagt. «Man muss alles wegschliessen! Heute hab ich Spitzbuben gebacken und sie zum Auskühlen unter einem Tuch versteckt, aber du glaubst es nicht, ich dreh mich einmal um, und schon haben sie sie im ganzen Wohnzimmer verteilt. Es ist, wie wenn ich wieder kleine Kinder hätte!» Ich hatte schon gemerkt, dass ihr Lächeln zunehmend erstarrte, und deshalb schnell hinzugefügt: «Aber sie kümmern sich so gut um Victor, dass ich ihnen alles verzeihe.»
Es stimmt, die siamesischen Schwestern Tildeli und Twylita, die wir vor einem Jahr aus dem Tierheim geholt haben, haben ein unglaubliches Gespür für seinen Zustand. Wenn er zu lange arbeitet, miauen sie ihn spätestens um Mitternacht aus der Werkstatt hinaus und ins Schlafzimmer. Wenn er eine Pause braucht, springen sie aufs Sofa und beginnen zu spielen, bis er sich zu ihnen setzt. Dann drapieren sie sich so um seine Beine, dass er nicht gleich wieder aufstehen kann. Wenn sein Herz galoppiert, legt sich eine von ihnen auf seine Brust, und er schwört, er könne spüren, wie sich sein Herzschlag beruhigt. (Dass der Herzschlag einer Katze immer noch viel zu schnell ist für einen Menschen, ist eine andere Geschichte.) Sie begleiten ihn die Treppe hoch und geben ihm gleichzeitig eine gute Entschuldigung dafür, dass er immer wieder innehalten muss. Nicht weil er nicht atmen kann, nein: «Die Katzen wollten spielen.» Die Katzen machen es Victor möglich, seinem Gesundheitszustand im Alltag Rechnung zu tragen – ohne sich etwas anmerken zu lassen. Denn nichts hasst er mehr, als krank zu sein, von Diagnosen und Symptomen bestimmt zu leben. Es macht mich manchmal fast wahnsinnig, wenn ich sehe, wie er, schwer atmend und erschöpft, behauptet, es ginge ihm blendend und es sei kein Problem, jetzt noch schnell auf die Leiter zu steigen und eine Lichtschranke zu installieren oder ein Gerüst zusammenzunageln. «Mach mich nicht kränker, als ich bin», sagt er immer. Und da kommen eben die Katzen ins Spiel. Sie haben sich das eine oder andere Blech voller frischgebackener Spitzbuben wohl verdient.
«Wie oft kommen sie denn?», fragte die Frau, die vielleicht Cindy hiess, vorsichtig nach. «Und wie lange bleiben sie jeweils?»
Jetzt war es an mir, die Stirn zu runzeln: «Wie meinst du das? Sie leben hier, es sind unsere Katzen.»
«Katzen? Wie kommst du denn auf Katzen?»
Es stellte sich heraus, dass sie sich nicht nach «those cats» erkundigt hatte, sondern nach «those girls», den zwei jungen Schweizerinnen, die gerade im Gästezimmer ihre Koffer auspackten. Und die sich nun für die Dauer ihres Besuchs Bemerkungen anhören mussten wie: «Nicht dass du wieder die Guetsli stiehlst, gell!»