Frank A. Meyer
Petitessen

Publiziert: 03.05.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 21:48 Uhr
Von Frank A. Meyer

Also sprach Marine Le Pen: «Was nützt den Europäern deren Demokratie: Da werden den Leuten Leistungen versprochen, die nicht bezahlbar sind.»

Die Führerin des Front National (FN) verachtet die Demokratie, da sie ja nutzlos sei. Haben wir auch nicht anders erwartet.

In der Tat, überraschend ist die Botschaft vom rechten Rand der französischen Politik mitnichten. Doch ist sie beunruhigend, denn der Wähleranteil der Demokratieverächter und Europahasser in unserem westlichen Nachbarland wächst von Wahl zu Wahl; bald schon könnte die Partei der rechten Populisten die grösste im Lande von «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit» sein.

Schlimm? Ja, schlimm.

Doch stammt der Demokratie-verachtende Satz gar nicht von Marine Le Pen, wiewohl er sich trefflich einfügen würde in ihr rhetorisches Repertoire.

Wer aber hat nun diese Absage an die Demokratie formuliert, wenns nicht Madame Le Pen war? Es war Frau Martullo – als Magdalena Martullo-Blocher seit jüngster Zeit weltbekannt, jedenfalls für die Journalisten, vor allem natürlich durch die Journalisten.

Die Kronprinzessin der Blocher-Dynastie verfügt über einen Vorteil gegenüber der Kronprinzessin aus der Le-Pen-Dynastie: Ihre SVP ist bereits, was der FN erst noch werden möchte – die grösste Partei des Landes.

Des Weiteren spielt ihr in die Hände, dass der Satz von der unnützen Demokratie in der Schweiz widerspruchslos hingenommen wird, während er in Frankreich auf flammende Empörung gestossen wäre.

Undemokratische Sentenzen, Verächtlichmachen von Regierung, Parlament und Bundesgericht, Attacken auf die Menschenrechte, Aufrufe zum Fremdenhass – alles Alltagspolemik der Bewegung, die unentwegt das Schweizer Vaterland im Munde führt.

Was aber sagt der Satz aus, wonach Demokratie nichts nützt, weil sie unbezahlbare Leistungen verspricht?

Der Satz reduziert die Demokratie auf ihren wirtschaftlichen Nutzen, also darauf, dass Demokratie nur zu bejahen sei, wenn die Kasse stimmt.

Diese Sicht der Demokratie missachtet, was Demokratie wirklich ist: die politische Struktur der Freiheit, der offenen Gesellschaft!

In dieser offenen Gesellschaft suchen gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger im demokratischen Streit nach Lösungen für die Probleme der Zeit.

Die Demokratie dient keinem inhaltlichen Ziel. Sie setzt lediglich den politischen und rechtlichen Rahmen, um Ziele zu verfolgen – grundsätzlich in Auseinandersetzung mit Zielen von andern Bürgerinnen und Bürgern.

Demokratie ist die Werkstatt: Welches Werk die Werkstatt verlässt, ist Sache der demokratischen Handwerker.

Wer Demokratie so versteht, ist ein Demokrat. Wer jedoch Demokratie nur unter der Bedingung akzeptiert, dass sie seinen Zielen dient, ist keiner. Er ist lediglich ein zynischer Benutzer der Demokratie. Ihm kommt auch ein autoritäres Regime gerade recht, wenn es dienlich erscheint.

Der Satz von Magdalena Martullo-Blocher entstammt einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger», in dem sie das chinesische System preist. Kein Wunder, gleicht er einem klassischen Satz der marxistisch-leninistischen Linken. Deren Argumentation ging jeweilen so: «Was nützt Demokratie, wenn die arbeitende Klasse weiterhin ausgebeutet wird?»

Ja, so klang sie einst, die links-radikale Demokratie-Verachtung: Demokratie ist nichts wert, weil sie nicht der proletarischen Klasse dient. Darum Schluss mit der Demokratie. Alle Macht dem Zentralkomitee.

Genau in diesem Punkt treffen sich unbelehrbare Alt-Kommunisten aufs Wundersamste mit der belehrenden Neu-Populistin. Magdalena Martullo-Blocher, die soeben ihre Kandidatur für den Nationalrat der demokratischen Schweiz angemeldet hat, bewundert China als «Land mit der kompetentesten Exekutive der Welt» – also das Zentralkomitee der kommunistischen Partei, das nach kommunistischer Gepflogenheit die Regierung regiert.

Martullo sagt auch, weshalb Pekings Potentaten im Gegensatz zu Europas Demokraten Bewunderung verdienen. «Der Chinese ist in wirtschaftlicher Hinsicht heute besser bedient, die Regierung orientiert sich nämlich an seinem langfristigen Wohlergehen.»

Genau so haben sich die Kommunisten von Anbeginn gesehen: als Kämpfer für die langfristigen Interessen des Volkes, wodurch natürlich das Volk als Souverän überflüssig wurde, waren seine Interessen doch allesamt bestens im Zentralkomitee aufgehoben, im Politbüro kondensiert und durch die Regierung realisiert.

Marxismus wie im Märchen. Wer’s nicht glaubt, zahlt keinen Thaler. Er kommt gleich ins Lager.

Ach ja, die Lager! Ach ja, die Freiheit! Ach ja, die Demokratie! Ach ja, der Rechtsstaat! Darum geht es den Genossen in Peking nun aber ganz und gar nicht. Es geht ihnen ausschliesslich um wirtschaftliche Effizienz. Und Machterhalt! Am liebsten unter Applaus westlicher Wirtschaftsführer. Beifall wie den von Martullo geniessen sie.

Den europäischen Demokratien hingegen geht es um Freiheit und Mitbestimmung, Demokratie und Rechtsstaat – um die Souveränität des Volkes, das in freien Wahlen seine Regierung bestimmt.

Das aber, so lehrt uns die neue alte Rechte Europas, ist nicht von Belang – es sind Petitessen, weiter nichts.

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