Die Schweiz braucht neue Kampfflugzeuge. Für wen braucht sie die? Für die Armee. Und die Armee: Wozu braucht sie die Kampfflugzeuge? Zur Verteidigung des Landes. Für den Fall, dass ein Krieg ausbricht.
Glaubt jemand an den Krieg als denkbaren Fall? Die Russen am Bodensee? Oder gar die Chinesen? Glaubt also jemand an russische oder chinesische Kampfflugzeuge über der Schweiz – und eine Schweiz, die ausserstande ist, dem russischen oder chinesischen Feind luftkriegstaugliche Kampfflugzeuge entgegenzusetzen?
Mit solcherlei Gegenwartslogik lässt sich nicht nur das Thema Kampfflugzeuge ad absurdum führen, sondern das Thema Armee überhaupt.
Die Russen oder die Chinesen am Bodensee – ein Witz.
Doch waren die Verhältnisse in der langen Zeit des Kalten Krieges so viel anders? Da standen sich die hochgerüstete westlich-demokratische Zivilisation und das kommunistisch-diktatorische Imperium jahrzehntelang waffenstarrend gegenüber. In Asien und Afrika und Südamerika wüteten Stellvertreter- und Bürgerkriege. Heute ist Russland wieder hochmodern gerüstet, China war es schon immer. Im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika wüten Stellvertreter- und Bürgerkriege.
Trotzdem wirkt die aktuelle strategische Weltlage entspannter als in den Sechziger- und Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Noch.
Soll die Schweiz also auf Kampfflugzeuge verzichten, weil deren Einsatz unwahrscheinlich geworden ist? Oder soll sie welche anschaffen, weil sich so viel ja doch nicht geändert hat?
Um darauf die richtige Antwort zu finden, muss folgende Frage gestellt werden:
Warum kam es im Kalten Krieg nicht zum heissen Krieg? Ganz einfach: weil Europa, weil die USA, weil der Westen, weil die Nato hochgerüstet waren – mit einem gewaltigen Atomwaffenarsenal zur Abschreckung des kriegerisch ebenso gerüsteten Ostens, des Warschauer Pakts.
Den Weltzustand im Kalten Krieg nannte man auch «Gleichgewicht des Schreckens».
Die Schweiz zählte zum Westen, zur Nato. Zugleich beteuerte sie fortwährend ihre Neutralität als Kleinstaat. Dieses durchsichtige Dogma wurde in Wirklichkeit unterlaufen durch persönliche Kontakte von Schweizer Offizieren mit deutschen, französischen und amerikanischen Kollegen, die der Zusammenarbeit im Falle eines Luftangriffs auf Westeuropa und auf die Schweiz dienten.
Gerechtfertigt wurden diese weder publizierten noch protokollierten Treffen mit der Einsicht, dass «es heutzutage wegen der technischen Entwicklung nicht mehr denkbar ist, solche Dinge im letzten Moment zu improvisieren», so das vertrauliche Dokument eines beteiligten Offiziers aus dem Jahr 1978.
Was damals galt, gilt heute noch viel mehr: Ohne praktische Partnerschaft mit der Nato ist ein rechtzeitiger und effektiver Luftwaffeneinsatz der Schweiz nicht denkbar.
Spricht das aber nicht wiederum gegen eine eigenständige helvetische Luftwaffe? Nein. Es spricht dafür, dass die Schweiz, ob sie will oder nicht, Teil der Nato-Sicherheitsstrategie ist – sein muss. Um es in Zeiten antieuropäischer Emotionen provokativ zu formulieren: Die Schweiz ist Teil des europäischen Sicherheitsdispositivs.
In diesem Kontext ist die Beschaffung neuer – kriegstauglicher – Kampfflugzeuge zu beurteilen. Es ist im Übrigen ein siegreicher Kontext: Der erste Kalte Krieg wurde gewonnen. Als 1989 das kommunistische Imperium zusammenbrach, hatte sich der Westen durchgesetzt.
Warum brach der Ostblock zusammen? Nicht zuletzt, weil Washington und seine Verbündeten die Sowjetunion totgerüstet hatten. Dazu nur ein besonders spektakuläres historisches Beispiel: Als die UdSSR Westeuropa mit SS-20-Raketen bedrohte, konterten die USA mit der Aufstellung atomar bestückter Pershing II auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs – gegen den Widerstand linker und friedensbewegter Protestler im Westen.
Das Wettrüsten zwang die roten Diktaturen zur kalten Kapitulation – ohne heissen Krieg.
Eventuell sollten die linken Kritiker der neuen Kampfjets einmal bedenken: Die Friedenslogik ihrer Genossen im Kalten Krieg, die sich letztlich gegen das kapitalistische System unter Führung der USA richtete, hätte zur Katastrophe für den freien Westen führen können. Ihre Träumerei vom Dritten Weg – nach dem Vorbild von Titos schöngeredetem Jugoslawien – entpuppte sich als grobfahrlässige Selbsttäuschung.
Der Dritte Weg ist – auch heute noch – ein Irrweg. Dennoch wird er seitens der Linken – erneut – als Weg der Emanzipation von den USA angepriesen.
Die Kampfjetbeschaffung der Schweiz ist deshalb ein politisches Bekenntnis: zum Westen, zur Freiheit, zur Solidarität mit Europa und den USA.
Es gibt keinen «Dritten Weg», keine Äquidistanz zu Amerika einerseits und China andererseits, ebenso wenig wie eine politische Mitte-Position zwischen Xi Jinping und Donald Trump.
Denn der Kalte Nachkrieg ist noch nicht zu Ende – auch nicht für die Schweiz.