Ein Foto fürs Familienalbum und fürs Geschichtsbuch: Alain Berset an den Pariser Feierlichkeiten zum 14. Juli in der ersten Reihe; ein Bundesrat der Schweizerischen Eidgenossenschaft als Ehrengast des französischen Präsidenten; der helvetische Innenminister, bedankt von Emmanuel Macron für die Aufnahme von Corona-Patienten aus dem Nachbarland in Schweizer Spitälern.
Eine erhebende Erzählung mit zauberhaften Bildern: Bundesrat Berset selbstbewusst, ja stolz auf der Festtribüne als herausragender Freund der Grande Nation, Bundesrat Berset im Gespräch mit Frankreichs Staatsoberhaupt, beide maskenbewehrt, beide im Bewusst- sein des anhaltenden Ernsts der Lage – zwei ebenbürtige Führungspersönlichkeiten Europas.
Gibt es erhabenere Glücksgefühle in diesen dürftigen Zeiten? Gibt es mehr Bedeutungsgewinn für einen Republikaner? Auf der Place de la Concorde Gast des jungen Königs der Republik Frankreich: Ist das nicht höchste Weihe?
Alain Bersets grosse Stunde machte Alain Berset zum Mann der Stunde. Und das ist er ja auch: Leaderfigur einer Regierung, die der Schweiz den Weg durch die Unwegsamkeiten der Pandemie wies, mal findig, mal irrend, unermüdlich und wenn nötig finster entschlossen. Die Menschen des Landes um ihn versammelt, weil der Krise bewusst.
Ein Volk der Willigen – auf Zeit.
Oh, liesse sich doch die wundersame Notgemeinschaft von Regierenden und Regierten noch ein Weilchen aufrechterhalten. Oder ist es dem Kollegium im Bundeshaus zu verdenken, wenn es dieser notgedrungenen Leichtigkeit des Bundesratsseins erliegt?
Ein Covid-19-Gesetz soll die Ausnahmemacht der Exekutive bis ins Jahr 2022 verlängern und neben epidemiologischen Erwägungen auch Massnahmen und Regelungen in den Bereichen Wirtschaft, Asyl, Justiz, Kultur und Medien dem raschen Ratschluss des Bundesrates unterwerfen.
Auf den Begriff gebracht: die Regierung will durchregieren!
Es ist nun mal genau so, wie die Volksweisheit besagt: Der Appetit kommt mit dem Essen. Die Schweizer Ministerriege, ein kollegiales Unikum, das bewundernswürdig funktioniert, hat Appetit bekommen: auf Macht – die eben dieses Unikum verhindert, weil es auf kollegialer Bescheidenheit beharrt, aufs politisch sittsame sich Einfügen der Regierungsmitglieder. Ein jeder ist nur einer von sieben.
Der Schweizer Republikanismus verträgt keine autoritären Allüren.
Das Selbstverständnis dieser klugen Demokratie beruht nicht auf Macht, sondern auf dem Gegenteil: Brechung der Macht! Und zwar nicht allein durch das Kollegialsystem auf allen Ebenen der Exekutivpolitik, sondern durch das Parlament unter der Bundeskuppel, dann durch die Kantone mit ihren Parlamenten, schliesslich als letzte und höchste Instanz:
Das Volk – die Macht an sich – bricht jede andere Macht!
Da hat die Verlängerung eines Notstandsregimes keinen Platz. Da gibts nur eins: den Weg zurück zur demokratischen Normalität, je schneller, desto besser!
Raus aus dem Bundesratszimmer an die frische Luft!
Es ist wahr, der Bundesrat hat mit dem Gesetz, das die Demokratie in wesentlichen Bereichen aushebeln soll, nichts als Gutes im Sinn. Das aber ist das Vertrackte: Wer Macht will, wer mehr Macht will, wer dauerhaftere Macht will – der hat selbstverständlich immer Gutes im Sinn, wenn nicht gar das Allerbeste. Wie sonst sollte er seinen Machtwillen begründen?
Das Gute in der Demokratie aber wird zum Schlechten, wenn es demokratische Macht relativiert oder gar ausschaltet. Der Bundesrat, der zu Zeiten der ersten Corona-Welle so segensreich waltete, der nun so gern das ihm entgegengebrachte Volksvertrauen weitere Jahre geniessen möchte, dieser Bundesrat benötigt dringend demokratisches Misstrauen und Widerrede im Parlament und in den Kantonen – nicht zuletzt den Widerstand der Bürger.
Die Vollmachten gegen das Virus dürfen nicht selbst zum Virus werden, das die Demokratie befällt. Solche Aussicht alarmiert den Republikaner.
Im Cortège auf der Place de la Concorde defilierten auch vier Schweizer Unter- offiziere an Emmanuel Macron und Alain Berset vorüber. Sie hielten sichtlich nicht Schritt mit den stramm und streng synchron marschierenden übrigen Soldaten. Eher zivil gestimmt, gingen sie so vor sich hin, nicht ganz ohne Schneid, doch ganz frei von Drill.
War der Auftritt eine Blamage, wie der BLICK sich empörte?
Republikaner marschieren nicht: nicht vor den Mächtigen und nicht hinter den Mächtigen her!