Frank A. Meyer – die Kolumne
Pfui Teufel!

Publiziert: 29.02.2020 um 23:39 Uhr
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Frank A. Meyer

Im Zürcher «Tages-Anzeiger» war jüngst die Schlagzeile zu lesen: «Nein, es braucht keine westlich-liberale Leitkultur!»

Der Ausruf war als Aufruf gedacht, wenn nicht als Nachruf. Er entstammte dem markanten Kopf des Theatermachers Johan Simons, einem der grossen Meister deutschen Bühnengeschehens. Simons ist, wie der «Tages-Anzeiger» mit verzücktem Blick von unten nach oben schreibt, seit 2018 Intendant des Schauspielhauses Bochum, von 2010 bis 2015 war er «Herr über die Münchner Kammerspiele».

In der Tat – Bewunderung ist angebracht. Der 74-jährige Maestro aus Holland hat Theater nicht nur gemacht, er hat es verändert, Fachleute sagen: revolutioniert. Sie nennen ihn einen Pionier, aktuell unter anderem deshalb, weil er sich der Mode-Ideologie des Genderismus zuwendet.

Johan Simons ist ein grosser Querdenker und Bühnenhandwerker der intellektuellen Szene Europas. Ja, er ist geradezu ein herausragendes Beispiel für die anarchische Liberalität des kreativen Milieus unserer offenen, freien, demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft.

Johan Simons kann tun und lassen, was immer ihm beliebt, also aufregende Einfälle inszenieren, das Publikum zum Beifall provozieren oder auch zum Protest. Denn in unseren kulturellen Breitengraden gilt das ganz konkret gebräuchliche Gebot der künstlerischen Freiheit. Und das nicht allein für die Theaterwelt, nein, ebenso für die Literatur, die bildende Kunst: für das kompetente künstlerische Denken und Formulieren in allen Kategorien, auf allen Gebieten.

In unseren kulturellen Breitengraden? Wozu diese sperrige Umschreibung? Weil so Begrifflichkeiten vermieden werden können, die in den Gefilden von Kunst und Kultur allgemein missbilligt werden, die Reizworte «westlich», «liberal» und «Leitkultur».

Es hat sich in der Geistes-Gilde eingebürgert, auf derlei Werte-Wörter mit distinguiertem Dégoût zu reagieren, oft genug mit ausfälliger Abscheu.

Leitkultur – was soll das? Ausserdem liberal? Und erst noch westlich? Begriffe für Populisten – für rechte Populisten. Was denn sonst? Pfui Teufel!

Wie ist es zu erklären, dass die hochgemute Kultur-Elite, in der Regel linksgestimmt, nichts wissen will von einer Leitkultur der liberalen westlichen Welt?

Es verhält sich da wie mit dem Fisch im Wasser: Wie soll der erklären, was Wasser ist?

Nicht anders steht es mit Johan Simons: Er bewegt sich in der westlich-liberalen Leitkultur wie der Fisch im Wasser. Er und seinesgleichen geniessen diese Kultur, die ihnen alle Freiheiten nicht nur einräumt, sondern diese Freiheiten auch noch beschützt und sogar bezahlt, fliesst doch ein ständiger Strom an Steuermitteln in die Institutionen der Kulturindustrie, vorab an all die Bühnen, die für subventionierte Minderheiten ihr teures Gesinnungsgeschäft betreiben.

So soll es auch sein: Der Geist weht, wo er will. Die Gesellschaft muss sich ihm aussetzen. Zu ihrem Guten. Denn die garantierte Freiheit von Kunst und Kultur garantiert nicht zuletzt die Freiheit der westlich-liberalen Welt.

Dies aber ist nun mal unsere Leitkultur – und die Kulturschaffenden suhlen sich darin. Mehr noch: Sie verkörpern sie. Der Theaterpionier Johan Simons ist die Leitkultur, die es seiner Meinung nach nicht braucht.

In welcher anderen Welt als der westlichen hätte er seine Theaterleidenschaft entfalten können? In welchem anderen System als dem liberalen hätte er zur Leitfigur des Theaters aufsteigen können? In welcher anderen Kultur als dieser westlich-liberalen Leitkultur könnte er ausrufen: «Nein, es braucht keine westlich-liberale Leitkultur!»

Ja, genau das gehört unverzichtbar zur Leitkultur der Demokratie: dass auch diejenigen dazugehören, die sich mit Händen und Füssen – leider meist nicht mit dem Kopf – dagegen verwahren, dazuzugehören.

So soll es bleiben.

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