Frank A. Meyer – die Kolumne
Levrats Geheimnis

Publiziert: 06.01.2019 um 12:09 Uhr
|
Aktualisiert: 21.01.2019 um 11:47 Uhr

Vor nicht allzu langer Zeit nannte Christian Levrat den freisinnigen Aussenminister Ignazio Cassis einen «Praktikanten». Jetzt ist der Tessiner offenbar im Ansehen Levrats gestiegen: Er nennt Cassis neuerdings den «dritten SVP-Bundesrat». Also Bundesrat. Immerhin.

Christian Levrat bleibt Christian Levrat. Und er bleibt Präsident der Sozialdemokratischen Partei. Die Schweiz hat sich an ihn gewöhnt, wie sie sich auch an seine Partei gewöhnt hat, die in allen Fragen grundsätzlich alles besser weiss.

Beispielsweise beim Rahmenabkommen mit der EU: Da möchte Christian Levrat «Brüssel ein besseres Angebot unterbreiten, denn weder Lohnschutz noch Rahmenvertrag sind Selbstzweck. Wir brauchen beides».

Wer würde es wagen, so viel Weisheit zu widersprechen? Angesichts der Tatsache, dass es sich mit Brüssel vorerst ausverhandelt hat, möchte der neugierige Bürger nun vielleicht wissen, wie Levrats «besseres Angebot» denn aussehen soll. Das aber hat der Sozialdemokrat, so redselig er sich auch gibt, wenn er Ignazio Cassis jede Eignung zum Aussenminister abspricht, bisher nicht verraten.

Von seinem Freiburger Ständerats-Hochsitz herab vertröstet der Meister die Menge: «Nach den Wahlen müssen wir mit einem solchen
Angebot an die EU gelangen.»

Nach den Wahlen? Weshalb erst, wenn die Wähler ihr Verdikt über die Parteien gesprochen haben? Für einen Präsidenten, dessen Partei behauptet, sie fühle sich dem einfachen Volk verpflichtet, ist das eine provozierend paternalistische Haltung: Die Bürgerinnen und Bürger sollen sozialdemokratisch wählen, ohne Kenntnis zu haben von den sozialdemokratischen EU-Absichten!

Klassische Kaderschule: Wir wissen, was euch frommt! Wir führen euch! Lasst euch führen!

Vielleicht ist aber alles auch ganz anders, weil harmloser, weil erstens Christian Levrat eigentlich gar nicht so arrogant ist, wie er sich im politischen Schlagabtausch gibt, und zweitens, weil der sozialdemokratische Parteipräsident ganz einfach nicht weiterweiss.

Genauso wenig wie Ignazio Cassis!

Der hat in Brüssel schon mal ausgelotet, was geht, und festgestellt, dass der Lohnschutz in strikter Schweizer Form nicht geht. Und deshalb nichts mehr geht.

Dem Aussenminister ist hoch anzurechnen, dass er das Rahmenabkommen, wie es heute als Verhandlungsresultat vorliegt, demokratisch zur Debatte offenlegt, ohne Taktik, ohne Wartezeit bis nach den Wahlen. Einfach so.

Es stimmt: Die Quadratur des Kreises ist Ignazio Cassis nicht gelungen. Wer vollbringt sie? Wer erfindet die Geometrie neu?

Christian Levrat. Nach den Wahlen. 

Warum die Deutschen dringend mehr Streit brauchen
5:49
«frank & frei»:Warum die Deutschen dringend mehr Streit brauchen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?